Die Letzten Tage von Franz Kafka Ausstellung Venedig 2024



Das Kafkaeske ist Konsens

Franz Kafka ist ein internationaler Autor. In viele Sprachen übersetzt und viel gelesen, wirken seine Texte zeitgenössisch und nicht so, als sei er vor 100 Jahren verstorben. Das Kafkaeske hat sich etabliert als ein Begriff, der uns die Welt beschreibt. Für eine Ausstellung in Venedig für ein internationales Publikum ist Franz Kafka ein idealer Punkt, ideal in einer Welt, die zu zerbrechen droht, da über das Kafkaeske Konsens besteht. Natürlich ist der Titel der Ausstellung Die Letzten Tage von Franz Kafka nicht nur ein Bezug auf den letzten Text Kafkas, sondern auch eine Anspielung auf Die Letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus.

 

Die Kunstpositionen in Die Letzten Tage von Franz Kafka und deren Verbindung zu Franz Kafka.

Die Verbindung zu Kafka besteht in erster Linie auf eine Beschäftigung mit Franz Kafka. Peter Angerer, Nicolas Mahler, Elisabeth Schafzahl und Philipp Wegan und Pavel Schmidt haben Texte von Kafka zum Inhalt ihrer Werke gemacht. Pavel Schmidt hat außerdem als Mitherausgeber der Zeichnungen von Franz Kafka sozusagen wissenschaftlich zu Kafka gearbeitet.

In zweiter Linie besteht die Verbindung zu Kafka auf einem Element des Kafkaesken innerhalb einzelner Werke. Das Kafkaeske lässt sich besonders bei der Malerei von Erhard Stöbe, Franz Blaas und Franziska Maderthaner ablesen. Wie könnte man das Kafkaeske in einfachen Worten kurz beschreiben? Vielleicht in einer Gleichzeitigkeit von unterschiedlichen Gefühlen wie zb Grausamkeit und Komik, Ohnmacht und Hoffnung, Perfektionismus und Fragmentarisierung  durch Zufallsprinzip. Aber es ist schwierig die sehr vielfältigen Aspekte Kafkas kurz zu beschreiben. Elias Canetti bezeichnete Kafka als Experten der Macht. Man könnte die einzelne Kunstpositionen im Lichte dieser Machtexpertise verstehen. Daneben fällt auch die Komik auf, als ein wesentlicher Zug in Kafkas Welt neben der dunklen, obskuren und grotesken Seite.

In dritter Linie gab es inhaltliche bzw. illustrative Entsprechungen mit dem Zetteltext von Kafka, der hier den Kern der Ausstellung bildet. Man sieht hier die Pfingstrosen von Richard Jurtitsch und das Weinglas in der Grafik von Josef Fürpaß. Die Künstlerinnen und Künstler haben den Text aus dem Zettelwerk selbst ausgesucht, dabei war natürlich gewissermaßen eine illustrative Logik am Werk. Kafka, der selbst ein begnadeter Zeichner war, hätte diese Illustrationen vielleicht nicht abgelehnt, wie es sonst von ihm kolportiert wird, dass er seine Texte nicht illustriert sehen wollte.

Ein vierter Aspekt ist, dass die Verarbeitung von Text und Schrift in der jeweiligen Kunstposition ein wichtiger Faktor ist (sofern man Schrift und Inhalt überhaupt trennen kann).  Peter Angerer und Maryam Farhang arbeiten quasi symbiotisch mit Literatur. Für Ida Szigethy, deren Malerei selbst erzählerisch ist, trifft das auch zu. Brigitte Lang verwendet Text in Kombination mit dem Material Metall und erzeugt daraus unterschiedliche hermetische Arbeiten, wie Waffen oder Rüstungen, sie selbst nennt es Körpererweiterungen, die aber gleichzeitig sehr empfindliche Objekte sind. Anna Goldgruber verwendet Text und Schrift als Material, das die Lesbarkeit verliert und nur noch als Ausdruckszeichen besteht, transformiert zu einem Objekt, Signifikanten verlustig ihrer Signifikate. Ähnlich verfährt auch Georg Lebzelter, indem er Linotypetechnik -Typen eine Bildbühne gibt. Darüber hinaus ist in einigen Kunstpositionen eine Nähe zum Buchdruck und zur Druckgrafik zu bemerken, wie bei Josef Fürpaß, Peter Angerer, und Georg Lebzelter. Das englische Wort character steht für Figuren eines Romans bzw. das Wort Type auch im deutschen umgangssprachlich für Menschen verwendet wird. Diese Bezeichnungen tragen etwas Kafkaeskes in sich: Das Klischeehafte, Vorgeformte und die Ordnung des Ganzen stülpt sich über das Individuelle und bezeichnet den Raum innerhalb dessen sich Figuren bewegen und individuelles Leben entfalten, bezeichnet pars pro toto das Individuelle. So liest man auch die Arbeit von Elisabeth Schafzahl. Grenzen wurden gezogen und als Gewand angezogen. Eine Ambivalenz zwischen Einschränkung und individueller Markierung. Ganz ähnlich dazu der Open Cage von Peter Angerer, der aber nicht in Venedig ausgestellt ist.

Die komplette Ausstellung aller Werke befindet sich nicht in Venedig, aber in der Edition, die anlässlich dieser Ausstellung und der Ausstellungen die noch kommen werden, gedruckt wurde. Gewissermaßen auch ein Zettelwerk diese verschiedenen Karten. Die Texte in der Edition stammen von Manfred Müller, Willi Bergthaler und Pavel Schmidt.


The Kafkaesque consensus

Franz Kafka is an international author. Translated into numerous languages and widely read, his writings have a contemporary ring, not as though he died more than a hundred years ago. The Kafkaesque has become established as a term with which to describe our world. For an exhibition in Venice and for an international audience, Franz Kafka is an ideal point of focus, ideal in a world in danger of falling apart, as there is a general consensus on the Kafkaesque. Of course, the title of the exhibition, The Last Days of Franz Kafka, not only refers to Kafka’s final text but is also an allusion to The Last Days of Mankind by Karl Kraus.

The artistic positions in The Last Days of Franz Kafka and their link to Kafka

Firstly, this link is based on an exploration of Franz Kafka’s work. Peter Angerer, Nicolas Mahler, Elisabeth Schafzahl and Philipp Wegan, and Pavel Schmidt have taken Kafka’s writings as the subject of their works. As co-editor of the drawings of Franz Kafka, Pavel Schmidt has also worked on Kafka academically, so to speak.

Secondly, the link to Kafka stems from an element of the Kafkaesque within the works. The Kafkaesque is particularly evident in the paintings of Erhard Stöbe, Franz Blaas and Franziska Maderthaner. How might you describe the Kafkaesque in a few brief words? Perhaps as a simultaneity of different emotions such as cruelty and comedy. Powerlessness and hope, perfectionism and fragmentation based on the principle of contingency. But describing the highly diverse aspects of Kafka is no easy task. Elias Canetti referred to Kafka as an expert on power. The various artistic positions could be seen in the light of this expertise on power. Another notable aspect is comedy, which is a defining trait of Kafka’s world along with the dark, obscure and grotesque side.

Thirdly, in terms of subject matter and illustration there were several links to Kafka’s conversation slips, that form the nucleus of the exhibition. Here you can see the peonies by Richard Jurtitsch and the wine glass in the drawing by Josef Fürpaß. The artists themselves selected a text from the conversation slips; of course, there was always a kind of illustrative logic involved. Kafka, a gifted draughtsman himself, might not have rejected these illustrations, although he is said not to have wanted to see his writings illustrated.

A fourth aspect was certainly the fact that processing text and writing in the artistic position is an important factor (if indeed writing and content can ever be separated). Peter Angerer and Maryam Farhang work in a kind of symbiotic way with literature. This is also true of Ida Szigethy, whose painting itself is narrative. Brigitte Lang uses text in combination with metal, creating a variety of hermetic works resembling weapons or armour – she refers to them as extensions of the body, but at the same time they are highly sensitive objects. Anna Goldgruber uses and text and writing as a material that becomes unreadable, existing only as marks of expression, transformed into an object, signifiers that have lost their signified. Georg Lebzelter takes a similar approach by creating a pictorial stage for Linotype. Other artistic positions bear a similarity to book printing and printmaking, as with Josef Fürpaß, Peter Angerer and Georg Lebzelter. A character is a figure in a novel, and a type is a sort of person. These terms have something inherently Kafkaesque about them: the stereotypical, the preformed and the overarching order of things is imposed on the individual and describes the space within which characters act and go about their individual lives – it represents the individual pars pro toto. This is also the interpretation of the work by Elisabeth Schafzahl. Boundaries have been drawn and donned as clothing. An ambivalence between limitation and individual marking. Very similar is Peter Angerer’s Open Cage, that is not, however, on show in Venice.

The complete exhibition of all works may not be on show in Venice but will be included in the edition that has been printed for this exhibition and further exhibitions to come. Bringing together all of these different cards, it is also a kind of collection of “conversation slips”. The texts in the edition were written by Manfred Müller, Willi Bergthaler and Pavel Schmidt.

 


Peter Angerer (1956 Altenmarkt)

lebt in Frohnleiten und arbeitet im Grenzbereich verschiedener Disziplinen, woraus sich ein Verweisungszusammenhang zwischen den einzelnen medialen Instanzen ergibt. Die spezifischen Differenzen zwischen dem lingualen und dem ikonischen Code, zwischen „Wort“ und „Bild“, sind nicht nur das implizite „Hintergrundrauschen“ unseres „Weltverstehens“ sondern sie sind in den Arbeiten Peter Angerers sehr oft auch expliziter Ausgangspunkt.
„Peter Angerer gibt ein Beispiel dafür, wie Kunst über das Thema Sprache zu jener zugleich sinnlichen und intellektuellen Sprachform findet, derer die Gesellschaft bedarf, um nicht in den oberflächlichen Stereotypen zu ersticken.“(Werner Fenz) Kafkas besonderes Verhältnis zu Tieren wurde von Peter Angerer zu einem größeren Werkblock künstlerisch erarbeitet. Die häufig absichtliche Unbestimmtheit der literarischen Tiergestalten ist auch Maßstab für die Überführung in einen bildkünstlerischen Prozess.

Peter Angerer lives in Frohnleiten and works at the intersection of several different disciplines, giving rise to a referential context between the various media. The specific differences between the linguistic and the iconic code, between “word” and “image”, are not only the implicit “background noise” of our “understanding of the world”, very often they are the explicit starting point in Peter Angerer’s works.
“Peter Angerer provides an example of how, by way of language, art arrives at that sensuous, intellectual form of language that society needs in order not to be stifled by superficial stereotypes.” (Werner Fenz) Peter Angerer explored Kafka’s special relationship to animals to create a larger block of work. The often intentional indeterminacy of animal figures in literature is also the criterion for translating them into a process of pictorial art.

Franz Blaas (1955 Passau)

Die Zeichnung ist das Zentrum von Franz Blaas künstlerischem Ouevre. Mit teils wenigen Strichen erzählt er Geschichten. In meist kleinformatigen Zeichnungen, oft auch farbig hinterlegt, verschmelzen bei Franz Blaas einfache Strichfiguren mit anderen figurativen Gestaltungsformen. Strichfigurengebilde, die sich mit wenigen Kohle- oder Tuschestrichen zu komplexen, psychologisch dichten, spannenden Zeichnungen entwickeln. Er ist Mitbegründer der Linzer Stadtwerkstatt und hielt sich von 1987 bis 1989 in Berlin auf. Von 1990 bis 1993 arbeitete er am Roman „Omas kleine Erde“ und 1998 am Libretto für die Oper „Zeichner im Schnee“. Blaas lebt und arbeitet in Wien.

Drawing is at the centre of Franz Blaas’ artistic oeuvre. He relates stories, sometimes with just a few strokes. In his mostly small-format drawings, often on a coloured background, Franz Blaas fuses simple stick figures with other figurative forms. By means of a few strokes of charcoal or ink, these stick figure compositions evolve into complex, psychologically intense, intriguing drawings. He is cofounder of the Stadtwerkstatt in Linz and stayed in Berlin from 1987 to 1989. From 1990 to 1993 he worked on the novel Omas kleine Erde and in 1998 on the libretto for the Opera Zeichner im Schnee. Blaas lives and works in Vienna.

Maryam Farhang (1983 Teheran)

lebt seit 2022 in Graz. Mit tiefem Feingefühl lässt sie ihre Herkunft aus der schillernden, weltoffenen und sehr alten persischen Kultur erkennen. In Farhangs Gedichten öffnen einfache Metaphern unvermutet Sphären, die tief unter die Oberfläche reichen. Archaische Sprachbilder verweisen überraschend knapp auf konkretes. Ähnlich konzipiert sind ihre Bilder. Zahlreiche bildhafte Metaphern sind indirekte Ausdrucksweisen, die nur nachvollziehbar und verständlich sind, wenn man über die entsprechenden Zugangscodes verfügt, wofür eine tiefe Kenntnis persischer Traditionen vonnöten ist.

Living in Graz since 2022. With deep sensibility she portrays her origins in the colourful, cosmopolitan and ancient culture of Persia. In Farhang’s poems, simple metaphors open up unexpected spheres that extend far below the surface. Astonishingly concise, archaic figures of speech depict concrete realities. Her images are similarly conceived. Numerous vivid metaphors present oblique modes of expression that can only be construed and understood with the appropriate access codes, which presuppose a profound knowledge of Persian traditions.

Josef Fürpaß (1960 Feldbach)

Buchgestalter, Bandeonist, Maler und Graphiker. Er ist Gründungsmitglied des Vereins Druck Zeug, war 2012 bis 2014 Betreiber & Programmgestalter der Keplerkoje in Graz, er widmet sich inhaltlich und formal den gestalterischen Möglichkeiten an der Schnittstelle der Bereiche Typografie, Buchdruck, Grafik und Literatur. Er arbeitete für die schweizer Zeitschrift Spektrum. Seine bevorzugte Technik ist der Hochdruck.

Book designer, bandoneon player, painter and graphic designer.
He is founding member of the association Druck Zeug, ran and programmed the Keplerkoje in Graz from 2012 to 2014; in terms of content and form, he focuses on the possibilities of design at the intersection of typography, book printing, graphic design and literature. He works for the Swiss magazine Spektrum. His preferred technique is relief printing.

Anna Goldgruber (1957 Neukirchen)

Interessiert Textil als Medium, dessen transmediales Potential in der künstlerischen Umsetzung, um Wahrnehmungsgewohnheiten aufzubrechen, zu verändern, um Neues zu finden. Dabei sind ein umfassendes Materialverständnis einschließlich der Kenntnisse über die Verflechtung des Textilen mit soziokulturellen Faktoren sowie die metaphorisch und emotional aufgeladene Bedeutung des Materials und der Verarbeitungstechniken der Hintergrund, vor dem sie ihr künstlerisches Tun entwickelt. Der „Erzählstrang“ entstand durch das Aneinandernähen und Verspinnen von Papierstreifen eines geschredderten Dokumentes. Die so entstandenen Papierfäden wurden gebündelt und zu einem dichten Strang verdreht. Der Text des ursprünglichen Dokumentes verschmilzt in Buchstabenfragmente, die ein rhythmisches Muster bilden und so neu gedeutet werden wollen.

Interested in textiles as a medium, their cross-medium potential in artistic realisation, with the aim of breaking down and changing habits of seeing so as to discover something new. Her artistic endeavour evolves on the basis of a comprehensive understanding of the material, including knowledge of how textiles are interwoven with sociocultural factors, along with the metaphorically and emotionally charged significance of the material, and manufacturing techniques. The “narrative thread” arose by sewing and spinning together strips of paper of a shredded document. The resulting paper threads were gathered together and twisted to create a tight strand. The text of the original document melts into fragmented letters that go to form a rhythmic pattern that prompts new interpretations.

Richard Jurtitsch(1953 Wien)

Der Österreicher fühlt sich der künstlerischen Haltung eines Ross Bleckner oder Philip Taaffe verwandt, die in einer unbekümmerten Weise Ornamentik thematisieren, oder das verpönte Darstellungsmotiv der Blumen in das Bild aufnehmen. Richard Jurtitschs Gemälde fungieren als aufgeweichte Spiegel der gesehen Realität, sie sind hybride Tableaus zwischen Fiktion und Abstraktion, Metaphern des Blicks auf die Welt.

The Austrian artist feels an affinity to the artistic stance of Ross Bleckner or Philip Taaffe, who nonchalantly explore the theme of ornamentation or incorporate the frowned-upon subject of flowers into their images. Richard Jurtitsch’s paintings act as softened mirrors of perceived reality, they are hybrid tableaux between fiction and abstraction, metaphors of the way we see the world.

Brigitte Lang (1953 Feldbach)

Lebt und arbeitet in Perchtoldsdorf bei Wien als Metallbildhauerein. Gründung der Künstlerinnengruppe „Vakuum“, Gründung des Kunstverein artP. Die Kunst von Brigitte Lang ist ein feministischer Kommentar zur Disziplinierung der Geschlechter und Teil eines sozialpolitischen Engagements. Ihre feministischen Serien zeigen eine eher singuläre Position im wichtigen Wandel von Schmuck- und Skulpturenbegriff nach 1970, die mit körperbezogenen performativen Prozessen und Sprachkonzepten zusammenhängt.

Brigitte Lang lives in Perchtoldsdorf near Vienna, where she works as a metal sculptor. Founded the artist group “Vakuum”, founded the art association “artP”. Brigitte Lang’s art is a feminist commentary on gendered discipline and part of a sociopolitical commitment. Her feminist series depict a rather singular position in the significant transformation of the concept of jewellery and sculpture after 1970, that is connected with performative body-related processes and concepts of language.

Georg Lebzelter (1966 Melk)

Ist Grafiker und Autor, lebt und arbeitet in Wien und Krems. Arbeitet mittels druckgraphischer Techniken mit den Prinzipien der Collage. Dabei nutzt er die einzelne Druckform als flexiblen Kompositionsbaustein. Die Serie „Övik“ entstand 2023 in Schweden mit Holz- und Bleilettern und deren Druck in vielen Schichten im Letterpress-Verfahren. Die Schrift verliert ihre Transportfunktion und wird Formbaustein. Es entstehen neue Zeichengeflechte.

Iis a graphic designer and writer who lives and works in Vienna and Krems. He works with the principles of collage in printmaking techniques, making use of the particular form of printing as a flexible element of composition. The Övik series was created in Sweden in 2023 and consists of wooden and lead type printed in many layers using the letterpress technique. Divested of its communicative function, the writing becomes an element of form, giving rise to new webs of signs.

Franziska Maderthaner (1962 Wien)

In ihren Gemälden verwebt Franziska Maderthaner Gegenständliches und abstrakt Expressionistisches. Aus ihren Farbschüttungen und radikalen Malgesten entwinden sich Körper, Stillleben und Objekte oder Szenen der Alltagskultur. Abstraktion und Gegenständlichkeit schließen sich in ihrer Kunst nicht aus, sondern ergänzen und stützen einander in vielfältigster Weise. 

Die Serie „In Bed With Abstraction“ verweist auf die Koinzidenz von zufälligen Faltenwürfen ungemachter Betten und zufälligen Resultaten abstrakter Malerei. Dabei können die gegenstandslosen Teile der Bilder auch als Dämonen eines schlechten Traums gelesen werden, der aus dem Chaos des zerwühlten Bettes wächst.

In her paintings, Franziska Maderthaner weaves together objective and abstract, expressionist elements. Bodies, still lifes and objects or scenes from everyday culture writhe free from her colour pours and radical painterly gestures. Abstraction and figuration are not mutually exclusive in her art but rather complement and support each other in many different ways. The series In Bed With Abstraction refers to the coincidence of random folds on unmade beds and random results of abstract painting. The non-objective elements of the images can also be interpreted as nightmare demons emerging from the chaos of the rumpled bed.

Nicolas Mahler (1969 Wien)

Führt eine Doppelexistenz als Witzzeichner und Literaturbearbeiter. Seine Cartoons erscheinen in zahlreichen Zeitungen und Magazinen, seine gezeichneten Adaptionen klassischer Literatur (u.a. nach Thomas Bernhard, Robert Musil, Marcel Proust, James Joyce und Elfriede Jelinek) großteils im Verlag Suhrkamp, Berlin. Franz Kafka gezeichnet von Mahler

Inspiriert von den Zeichnungen Kafkas hat der Wiener Zeichner Nicolas Mahler Passagen aus Kafkas Werk und Bruchstücke aus dessen Tagebüchern und Briefen illustriert, unter anderem auch einige
von Kafkas Gesprächsblättern. »Du, ich war einmal ein großer Zeichner«, schrieb Franz Kafka 1913 an seine Dauerverlobte Felice Bauer über seine künstlerischen Ambitionen. Sein Zeichnen hätte ihn einst »mehr befriedigt als irgendetwas«.

Nicolas Mahler (1969 Vienna) leads a dual existence as a cartoonist and literary adapter. His cartoons appear in numerous newspapers and magazines, his cartoon adaptations of classical literature (including Thomas Bernhard, Robert Musil, Marcel Proust, James Joyce and Elfriede Jelinek) are mostly published by Suhrkamp, Berlin. Franz Kafka drawn by Mahler. Inspired by Kafka’s drawings, Vienna-based Nicolas Mahler has illustrated passages from Kafka’s work and fragments of his diaries and letters, including a number of Kafka’s conversation slips. Describing his artistic ambitions, Franz Kafka wrote to his eternal fiancée Felice Bauer in 1913, “I was once a great draftsman”. His drawings gave him “greater satisfaction … than anything else”.

Elisabeth Schafzahl (1964 Graz)

Arbeitsfelder sind Malerei, Grafik und konzeptuelle Kunst. Die Schnittstellen zwischen Kunst und naturwissenschaftlichen Abbildungen werden immer wieder neu befragt und in eine künstlerische Form gebracht. Karten sind eine fassbare Form räumlicher Wahrnehmung, doch das Sehen und das Verständnis schwanken, wird die Karte gedreht. Die Frage, aus welchem Blickwinkel wir die Welt sehen und wie die Welt gezeigt werden sollte, sind Teil der Arbeit.

Works in the fields of painting, graphic design and conceptual art. The artist interrogates the intersections between art and scientific illustrations, rendering them in an artistic form. Maps are a  tangible form of perceiving space, but turning a map around changes the way we see and read it. The question of which perspective we view the world from and how the world is to be represented are an integral part of her work.

Pavel Schmidt(1956 Pressburg)

ist ein schweizer Objektkünstler, Maler und Zeichner. Unter anderem durch seine zahlreichen Sprengungen von Gartenzwergen und Kunstrepliken, die ihm als Grundlage für neue Werke dienen, weist sein Schaffen auch Merkmale der Aktionskunst auf. Ein charakteristisches Merkmal von Schmidts Werk ist die Verbindung von Schrift, Sprache und Bild mit Ironie und Humor. Aus Pavel Schmidts Beschäftigung mit dem Werk von Franz Kafka ist 2006 die Publikation f.k. im Stroemfeld Verlag hervorgegangen. Für den 2021 bei C. H. Beck erschienenen Bildband mit sämtlichen Zeichnungen Kafkas hat Schmidt mit dessen Herausgeber Andreas Kilcher zusammengearbeitet und das beschreibende Werkverzeichnis erstellt.

is a Swiss object artist, painter and graphic artist. Blowing up numerous garden gnomes and art replicas, that he then uses as the basis for new works, his practice exhibits certain traits of action art. A characteristic feature of Schmidt’s oeuvre is the combination of writing, language and image with irony and humour. Pavel Schmidt’s research into the work of Franz Kafka gave rise to the publication f.k. published by Stroemfeld Verlag in 2006. Schmidt collaborated with editor Andreas Kilcher on the illustrated book featuring the complete drawings of Kafka published by C. H. Beck in 2021, authoring the descriptive index of works.

Erhard Stöbe, (1943 in Wien)

Maler und Restaurator. Die Figuren Erhard Stöbes kommen aus allen Epochen, sie triumphieren über die Dunkelheit des Vergessens. Die Figuren des antiken Mythos und die mythischen Elemente der neuzeitlichen Malerei werden ernst und real genommen, aber durch ihre Nähe zum Alltag ironisiert. Auch malerische Stile betrachtet Stöbe als Sujet der Malerei.

Painter and restorer. Erhard Stöbe’s figures stem from all eras and triumph over the darkness of forgetting. The figures from ancient mythology and the mythical elements of modern painting are taken seriously and as real, albeit subjected to ironical treatment by placing them in the context of everyday life. Stöbe also regards styles of painting as a subject for painting.

Ida Szigethy (1933 Wien)

Das Universum in vielgestaltigen Facetten und Farben, sowie Literatur und Filmarbeit sind die Themen und Gegenstände ihrer Bildkunst. Tropische Gärten und Landschaften, Wien-Erinnerungen, die Stationen einer Frau – Realität und Irrealität ineinander verwoben zeigt ihre farbenreiche Malerei. Die zeitlebens neugierige, offene und interessierte Reisende lebte 30 Jahre in Paris und kehrte vor einigen Jahren zurück nach Wien. „Die andere Wirklichkeit, die aus dem Augenblick und der Erinnerung entsteht, wenn beide plötzlich miteinander verschmelzen, die etwas vom Traumhaften und Gegenständlichen zugleich hat, ist in Ida Szigethys Bildern stets gegenwärtig.“ (Gerhard Roth)

The universe in its countless forms and colours, literature and film work are the themes and subjects of her pictorial art. Her richly coloured painting depicts tropical gardens and landscapes, memories of Vienna, the various stages of a woman – reality and irreality interwoven. All her life an inquisitive, open-minded and interested traveller, the artist lived in Paris for thirty years, moving back to Vienna a few years ago. “The other reality that arises from the moment and memory when both suddenly merge, that has something both dreamlike and objectual, is ever present in Ida Szigethy’s paintings.” (Gerhard Roth)

Philipp Wegan (1968 Wien)

Lebt in Wien und in Graz. Inspiriert durch historische Fotografie, Werbung und Literatur entsteht eine kommentierte Malerei oft als Satire aber manchmal auch ganz ohne Ironie. In der Serie Das Schloß werden reale Schlösser Böhmens, gemalt nach alten Fotografien aus den 1920er Jahren, mit Passagen aus dem Roman Das Schloß von Franz Kafka kombiniert. Diese Textpassagen sind so gewählt, dass keine handlungstragenden Passagen sondern aphoristische Passagen im Bild stehen, und somit ein Bild im Bild, ein sprachliches Bild in einem gemalten zu sehen bzw. zu lesen ist. 

Lives in Vienna and Graz. Inspired by historical photography, advertising and literature, the resulting work is commented painting, often as satire but sometimes devoid of any irony. The series Das Schloß combines real Bohemian castles, painted from old photographs from the 1920s, with passages from Franz Kafka’s novel Das Schloß (The Castle). The passages chosen to appear in the images are not central to the plot but rather aphoristic, and therefore an image within an image, an image of language that can be seen and read in a painted image.



Die letzten Worte des Angeklagten

(Willi Bergthaler, Johannes Kepler Universität Linz)

Das letzte Wort hat der Angeklagte. Dieser Grundsatz des Strafprozessrechts rückt in unser Bewusstsein, wenn wir vor Kafkas letzten Worten stehen. Kafka, der Jurist, fühlte sich zeitlebens in existenziellen Verfahren verfangen, Tribunalen unterworfen, Richtsprüchen ausgeliefert – angeklagt vor äußeren wie inneren Instanzen, in privaten Beziehungen, letztlich in und vor sich selbst.

Das Gefühl des Ausgeliefert-Seins an einen unaufhaltsamen Prozess – die fortschreitende Krankheit, den nahenden Tod – grundiert auch die Gesprächsblätter der letzten Tage Kafkas. Es sind Fragmente, Momentaufnahmen der letzten Tage, Versuche, mit Hilfe der Sprache die Enge des Krankenzimmers – und des tuberkulösen Kehlkopfs, der sich zunehmend schloss – noch einmal aufzubrechen. Die Sehnsucht, Fenster zu öffnen, Luft zu trinken, hat Kafka schon früher immer wieder ausgesprochen.

Ein Fenster zu Kafkas letzten Worten öffnet die von Elisabeth Schafzahl und Philipp Wegan kuratierte Ausstellung „Die Letzten Tage von Franz Kafka“. Aus dem Sprachkosmos Kafkas entstehen – oder, wie Walter Benjamin zur Auslegung von Kafkas Texten schreibt: entfalten sich – kongeniale Bildwelten: Die Arbeiten treten mit seinen Sätzen in Dialog, verleihen den Sehnsüchten, Wünschen und Ängsten nicht nur Ausdruck, sondern reagieren auf sie. Das Auskosten von Augenblicken, die Gefasstheit und Hilflosigkeit, die Zerrissenheit und die Beklemmung, die Unterordnung unter Instanzen – all das wird sichtbar und spürbar.

Die letzten Worte des Angeklagten erfahren im Verhandlungssaal keine Widerrede. Sie bleiben im Raum stehen, während sich das Gericht zur Urteilsfindung zurückzieht. Diesen Raum betreten wir in der Ausstellung; in ihm werden die letzten Worte Kafkas verhandelt. Ohne Urteil. In der einzigen Sprache, die Kafka wirklich gerecht wird: der Sprache der Kunst.

Willi Bergthaler Johannes Kepler Universität Linz


The defendant’s last words

The defendant has the last word. This principle of criminal procedure comes to mind when we are faced with Kafka’s last words. A law graduate, all his life Kafka felt trapped in existential procedures, subject to tribunals, at the mercy of judgements – arraigned before external and internal instances, in private relationships and, ultimately, within and before himself.

The conversation slips written during Kafka’s final days are also imbued with this sense of being at the mercy of an inexorable process – progressive illness and impending death. They are fragments, snapshots of those final days, attempts to break free once again from the confines of the sickroom – and of the increasingly occluded tuberculous larynx – with the aid of language. Kafka had spoken of this yearning to open windows, to drink air, on various occasions in the past.

Curated by Elisabeth Schafzahl and Philipp Wegan, the exhibition “Die Letzten Tage von Franz Kafka” (The Last Days of Franz Kafka) opens a window on Kafka’s last words. Sophisticated visual worlds emerge – or, as Walter Benjamin writes in his interpretation of Kafka’s writings – unfold from within Kafka’s universe of language: The works engage in a dialogue with his words, not only giving expression to the yearnings, wishes and fears but also responding to them. The savouring of moments, the composure and helplessness, the inner turmoil and apprehension, the subordination to external forces – this all becomes visible and tangible.

The defendant’s last words go without response in the courtroom. They linger in this space while the court retires to consider a verdict. It is this space that we enter in the exhibition in order to deliberate Kafka’s last words. Without judgement. In the only language that really does justice to Kafka: the language of art.

Willi Bergthaler
Johannes Kepler University Linz



 

Franz Kafkas Gesprächsblätter aus den letzten Lebenswochen in Kierling

(Manfred Müller, Österreichische Franz Kafka Gesellschaft)

Bei den sogenannten „Gesprächsblättern“ handelt es sich um die privatesten Äußerungen, die von Franz Kafka erhalten sind. Fast ausnahmslos im Sanatorium Hoffmann in Kierling bei Klosterneuburg entstanden, gewähren sie einen kleinen Einblick in Kafkas Welt der letzten Lebenswochen und sind zugleich neben einigen Briefen die einzigen schriftlichen Dokumente, die aus dieser Zeit noch existieren.

Entstanden sind die „Gesprächsblätter“ aufgrund einer ärztlichen Empfehlung: Kafka war Anfang April 1924 nach Österreich gekommen, um seine weit fortgeschrittene Lungentuberkulose behandeln zu lassen. Im Sanatorium Wienerwald bei Pernitz/Niederösterreich wurde schnell festgestellt, dass seine Erkrankung auch den Kehlkopf befallen hatte. Um den rasch zum Tod führenden Verlauf einer solchen Kehlkopftuberkulose wenigstens bremsen zu können, schickte man Kafka umgehend in die Wiener Universitätsklinik zum angesehenen Spezialisten Markus Hajek. Hier wurde Kafka, der starke Schmerzen hatte und sich fast nur noch flüsternd verständigen konnte, zur Schonung des Kehlkopfs eine Schweigekur verordnet. Kafka begann daraufhin, schriftlich mit seiner Umgebung zu kommunizieren – die „Gesprächsblätter“ entstanden. Er notierte alles, was er sagen wollte, auf Blättern, die er oft für mehrere „Gespräche“ verwendete und manchmal kreuz und quer voll schrieb. Über 40 solcher Blätter sind bekannt. Es lässt sich daraus weder eine klare Chronologie der Notate rekonstruieren, noch ist ablesbar, welche Zeile welchem Gesprächspartner galt. Kafkas Einträge behandeln medizinische Themen ebenso wie alltägliche Begebenheiten, dokumentieren Beobachtungen, Erinnerungen und, immer wieder, Kafkas Leiden. Hunger und Durst, die er infolge des zerfallenden Kehlkopfes permanent verspürte, sind zentrale Inhalte vieler seiner Äußerungen der letzten Lebenswochen, aber auch sein Witz, sein Interesse an seiner Umgebung und den Menschen um ihn sowie seine bis zuletzt nie endende Hoffnung.

Nach Kafkas Tod sammelte Robert Klopstock viele der Gesprächsblätter ein, bewahrte sie auf und übergab sie schließlich Kafkas Freund und Nachlassverwalter Max Brod, der viele der Einträge darauf im Rahmen der von ihm herausgegebenen Werkausgabe Kafkas im Band »Franz Kafka. Briefe von 1902 – 1924« veröffentlichte. Der Wortlaut der Texte, die die Grundlage der Ausstellung bildet, folgt dieser Ausgabe.


The Conversation Slips

(Manfred Müller, Österreichische Franz Kafka Gesellschaft)

The “conversation slips”, as they are known, are the most private surviving utterances of Franz Kafka. Written almost exclusively at the Hoffmann Sanatorium in Kierling near Klosterneuburg, they afford a glimpse of Kafka’s world during the final weeks of his life. Along with a number of letters, they are the only existing written documents from this time.

The “conversation slips” came about as a result of medical advice: Kafka had come to Austria at the beginning of April 1924 to get treatment for his far-advanced pulmonary tuberculosis. At the Wienerwald Sanatorium near Pernitz/Lower Austria, it was quickly ascertained that the disease has already spread to his larynx. In order to at least slow down the progress of this quickly fatal laryngeal tuberculosis, Kafka was immediately transferred to the renowned specialist Markus Hajek at the Vienna University Clinic. In severe pain and able to communicate almost only in whispers, Kafka was prescribed a silence cure to rest his larynx. As a result of this, Kafka began communicating in writing with people around him, giving rise to the “conversation slips”. He would note down everything that he wished to say on slips of paper, often using them for multiple “conversations” and sometimes filling them with his notes written all over the paper. More than forty slips are known. They neither permit a clear timeline of events nor do they indicate which line was addressed to which person. Kafka’s notes concern medical topics as well as everyday occurrences, they document observations, memories and, time and again, Kafka’s suffering. The endless hunger and thirst that he experienced are central themes of many of his utterances in the final weeks of his life, but equally so his sense of humour, his interest in his surroundings and the people around him, and his undying hope to the last.

After Kafka’s death, Robert Klopstock collected many of the conversation slips, keeping them and finally handing them over to Kafka’s friend and literary executor Max Brod, who later published many of the notes in his collected works of Kafka, in the volume entitled “Kafka. Letters to Family, Friends, and Editors”. The quoted texts upon which this exhibition is based are taken from this volume.

 



 

Die Gesprächsblätter

Da bekommt man einen Begriff von Schwindsucht in der Mitte ein facettierter Stein, zur Seite die Sägen, sonst alles leerer, trockener Auswurf.

Weil ich viele Stunden mit dem Kehlkopf nichts gemacht habe, schmerzt es so? Verhaltenen Reiz habe ich immer.

Sie haben von Schweninger, dem Arzt Bismarcks nichts gehört? Er stand zwischen Schulmedizin und ganz selbstständig gefundener Naturheilkunde, ein großer Mann, der es mit Bismarck sehr schwer hatte, weil er ein großartiger Fresser und Säufer war.

Die kleinen Mengen und der fortwährende Drang beweisen, daß es dort ein Hindernis vollständiger Reinigung gibt, das beseitigt werden sollte, ehe man mit Mitteln zu sperren sucht.

Irgendwo in den heutigen Zeitungen ist eine ausgezeichnete kleine Notiz über die Behandlung gepflückter Blumen, so schrecklich durstig sind sie, noch so eine Zeitung

Schräg, das ist fast meine Idee, damit sie mehr trinken können, Blätter weg.

Bißchen Wasser, diese Pillenstücke stecken im Schleim wie Glassplitter.

Wenn die Nudeln nicht so sanft gewesen wären, hätte ich gar nicht essen können, alles auch das Bier hat mich gebrannt.

Nr. 27 Arthur Berger, Auf den Inseln des ewigen Frühlings. Ich habe aus dieser Bibliothek schon einige Bücher gehabt, es sind meist Excerpte aus großen Werken für Jungem, sehr gut. Es wird wohl vorrätig sein im großen Sortiment, etwa Lechner (Graben), aber Heller z.B. nicht, man muß die Nase dafür haben, was ich aber bei der Hitze nicht von ihnen verlangen kann. Warten Sie damit, bis die Kleider kommen.

Aber es ist ja nur eine dumme Beobachtung. Wie ich zu essen anfing, senkte sich im Kehlkopf irgendetwas, worauf ich wunderbar frei war und schon an alle möglichen Wunder dachte, aber es ging gleich vorüber.

Glauben. daß ich einmal einen großen Schluck Wassers einfach wagen könnte.

Mit wenig verschluckt man sich vielleicht leichter.

Besonders möchte ich mich der Pfingstrosen annehmen. weil sie so gebrechlich sind.

Und Flieder in die Sonne.

Frag, ob es gutes Mineralwasser gibt, nur aus Interesse.

Haben Sie einen Augenblick Zeit? Dann bespritzen Sie bitte die Pfingstrosen ein wenig.

Kennen Sie sich, Herr Doktor, in Weinen aus! Haben Sie schon Heurigen getrunken?

Und gar jetzt in diesem Zustande, von dem zu erholen, wenns gelingt, ich Wochen brauchen werde. Bitte schauen Sie nach, ob die Pfingstrosen den Vasengrund nicht berühren. Darum muß man sie in Schalen halten.

Ein Vogel war im Zimmer.

Guter Rat: eine Scheibe Zitrone hineinlegen in den Wein.

Kann man in dem Bach nicht baden, auch Luftbad

Einmal zum Spaß könnte ich Mineralwasser

8 Tage werde ich es noch aushalten, vielleicht, hoffentlich, es sind solche Nuancen.

Ich will ihm folgsam sein, besonders wenn es angenehm ist, nach der Limonade, erzähle noch, wie Deine Mutter getrunken hat, nur Wasser, lange Schmerzen, Durst. Aber früher, wenn sie das gute Wasser bekam, hatte sie Freude.

Sie hatte niemals eine Nebenkrankheit, welche ihr das Trinken zeitweilig verboten hat?

Haben Sie schon die Bücher von der Schmiede gesehn?

Studienreise für R Staatliches Stipendium 6 Wochen

Ein Drittel aus der Mitte gestrichen.

Können die Schmerzen auch zeitweilig aufhören? ich meine, längere Zeit?

Geben Sie bitte Acht, daß ich Sie nicht anhuste.

Brief Schmiede

Wie ich euch plage, das ist ganz verrückt.

Bismarck hat auch einen eigenen Arzt gehabt, auch geplagt.

Der Arzt war auch ein großer Mann.

Die habe ich immer mehr gefürchtet als alles andere, lieber die Medzinen und alles andere auslassen; nach dem heutigen Vormittag – aber es täuscht ja alles – wirken die Bonbons, abgesehen von dem nach folgenden endlosen Brennen, besser als Einspritzung. Ich kann nicht gleich nach der Auflösung, weil da das große Brennen ist. Das Bessere äußert sich darin, daß die Schmerzen, die ja auch nach der Einspritzung kommen, hier dumpfer sind, so wie wenn die Wunden, über die das Essen fließt, ein wenig zugedeckt wären. Ich will nur die Wirkung beschreiben. Übrigens habe ich es nur heute Vormittag gefühlt. Es kann ja alles falsch sein.

Immer wieder Angst.

Natürlich habe ich dadurch mehr Schmerzen, weil ihr so gut zu mir seid, in der Hinsicht ist eben das Spital sehr gut.

Den Mann neben mir haben sie getötet, jeder Assistent ist auf einen Sprung hingekommen und hat ohne zu fragen Mit Lungenentzündung haben sie ihn herumgehn lassen 41 stark. Großartig war es, wie dann in der Nacht alle Assistenten in ihren Bettchen waren und nur der Geistliche mit seinen Gehilfen da war. Er mußte nicht beichten. Nach der letzten Ölung ist der Geistliche wieder

Mich strengt heute das Reden an.

So traurig bin ich ja nur, weil diese wahnsinnige Essensmühe unnütz ist.

Hier, jetzt, mit diesen Kräften soll ich es schreiben  Jetzt erst schicken sie mir das Material.

Man sieht ja zu deutlich wie ein Medizinteufel dem andern den Weg macht.

Das Schlechte soll schlecht bleiben, sonst wirds noch schlechter.

Kennen Sie Gieshübl? Ort bei Karlsbad Quelle Wälder

Wenns kein Thema gäbe, dann gäbe es Gesprächsstoff.

Wie viel Jahre wirst Du es aushalten? Wie lange werde ich es aushalten, daß Du es aushältst? Jetzt will ich es lesen. Es wird mich zu sehr aufregen, vielleicht, ich muß es doch von neuem erleben.

Warum waren wir in keinem Biergarten Langer Weg Wein – Meran Bier Mücke

Wenn ein Weilchen still ist, bin ich froh. [Zeichnung. (Italien und Sizilien)]

Ein See mündet doch nicht.

Milch ist sehr gut, aber es ist schrecklich, es wird wieder so spät, aber ich kann nichts dafür. Es ist ein allgemeiner Klageruf.

Das Schlimme ist, daß ich nicht ein einziges Glas Wasser zu mir nehmen kann, ein wenig sättigt man sich auch an dem Verlangen.

Und die wunderbaren Erinnerungen an Gieshübl, z.B. einem wunderschönen kleinen Waldort bei Karlsbad.

Wenn es wahr ist, und es ist wahrscheinlich – daß mein gegenwärtiges Essen ungenügend ist, um von innen her eine Besserung herbeizuführen, dann ist ja alles aussichtslos, von Wundern abgesehn.

Ich kann auch den gegenwärtigen Essenstand nicht lange erhalten bei den Schmerzen und dem Husten. Der Vater freut sich, aber ärgert sich auch über Expreßbriefe.

Sehen Sie den Flieder, frischer als ein Morgen.

Dem Mädchen muß man von dem Glas sagen, sie kommt manchmal bloßfüßig.

Ergo bibamus Trinken wir also.

Das gefällt mir nicht, zuviel Arbeit; erfordert zu viel Kenntnisse. Zimmerblumen sind ganz anders zu behandeln.

Ich bin schon so vergifte, daß der Körper die reine Frucht schon kaum verstehen kann.

Daß die Ameisen es nicht aufessen.

Jetzt sind wir ein schönes Stück zurück von dem Tag, an dem wir in dem Wirtshausgarten

Man kann es aus dem Gefäß essen, das ist auch gut, aber nicht rein, aber da ich nur wenig essen werde, ist es am besten, alles durchzuquirlen und ein wenig für mich ins Glas zu geben. Das kann ich ohne Wasser nicht hinunterschlucken. Joghurt hätte mir vollständig genügt, genügt ja jedem, gar bei diesem Fieber. Es ändert sich mit dem Wetter, bei heißem Wetter ist es noch viel besser, dicker, außerdem ist es bei heißem Wetter noch besser, nicht so zart und fest.

Es war so wie eine Verabredung im Halbschlafe. Mir wurde versprochen, daß es mir gelingen werde, den Lärm zu überschlafen, daß ich aber dagegen etwas anderes versprechen müßte, ich versprach es, habe aber vergessen

Sie kann nicht essen, also keine Schmerzen. Sie will wieder zurückkommen?

Immer dieses »vorläufig«, das kann ich ja auch von mir anwenden. Wir reden vom Kehlkopf inuner so, als könne es sich nur zum Guten entwickeln, das ist aber doch nicht wahr. Es wirkt natürlich auch die Stimmung mit, d.as aufregende Gesprächsthema z.B.

Wie konnten wir so lange ohne R. sein?

Jetzt habe ich geträumt, daß R. bei der Tür ist und ich ihm ein Zeichen geben soll, daß ich irgendwie fertig bin, gleichzeitig aber wußte ich, daß Du [Dora] auf der Terrasse bist, und wollte Dich durch das Zeichen nicht stören. Schwieriger Fall.

Selbst wenn ich mich wirklich von allem ein wenig erholen sollte, von den Betäubungsmitteln gewiß nicht.

Wer hat telephoniert? ob es nicht Max war?

Unendlich viel Auswurf, leicht und am Morgen doch Schmerzen, im Rausch ging mir durch den Kopf, daß für diese Mengen und die Leichtigkeit irgendwie der Nobelpreis

Darum liebt man die Wasserjungfrauen

Wir werden uns ein kleines Buch über diese Sachen kaufen, das muß man genau wissen

Jetzt aber vorläufig genug Blumen. Zeig mir die Aglaja, zu grell, um mit andern beisammen zu stehn. Rotdorn in zu versteckt, zu sehr im Dunkel. Mehr von Wasser. Obst

Du lobst so willkürlich, wenn ich genug gegessen habe, heute habe ich viel gegessen und Du tadelst, ein anderesmal lobst Du ebenso ungerecht.

Wo ist der ewige Frühling?

Heißt es in der Zeitung nicht: grünliche durchsichtige Schalen?

Gestern Abend hat noch eine Biene den weißen Flieder ausgetrunken. Sehr schief schneiden, dann können sie den Boden berühren.

In Waben esse ich ihn gern, das gibt es aber wohl nur im Herbst, und außerdem sind helle schöne Waben sehr selten.

Goldregen kann man nicht bekommen?

Er hat noch kein Wasser heute getrunken. Und wie wir hier leben, das wäre im Wiener Wald unmöglich gewesen.

Könnte ich heute vielleicht ein wenig Gefrorenes versuchen

Getreuer Eckart – ein guter weiser väterlicher Schutzgeist.

Wie leicht ging es damals im Bett, wenn Sie kamen, und dabei hatte ich nicht einmal Bier, allerdings Kompott, Obst, Fruchtsaft, Wasser, Fruchtsaft, Obst, Kompott, Wasser, Fruchtsaft, Obst, Kompott, Wasser, Limonaden, Apfelwein, Obst, Wasser.

Wie wunderbar das ist, nicht? der Flieder – sterbend trinkt er, sauft er noch.

Das gibt es nicht, daß ein Sterbender trinkt.

Selbst wenn es zur Vernarbung kommt – verzeihen Sie die ekelhafte Fragerei, aber Sie sind doch mein Arzt, nicht? – dauert das Jahre, ebenso lange wird man auf schmerzloses Essen warten müssen.

rhetorische Frage

Bei dieser Trinkfähigkeit kann ich noch nicht mit dem Vater in den Zivilschwimmschul-Biergarten gehn.

In früheren Jahren Venedig Riva Desenzano auch allein Norderney, Helgoland Onkel Siegfried

An die Ostsee hätte ich mit ihr einmal (mit ihrer Bekannten) fahren sollen, habe mich aber wegen Magerkeit und sonstiger Ängstlichkeit geschähmt14. Soweit es wert war, mich zu verstehen. So war sie in allem. Sie war nicht schön, aber schlank, edler Körper, den hat sie nach Berichten (Schwester von Max, ihre Freundin) behalten.

Gib mir einen Augenblick die Hand auf die Stirn, damit ich Mut bekomme.

Diese Zeitung kommt in 3 Exemplaren 2 mal in der Woche.

Jedes Glied. müde wie ein Mensch.

Warum habe ich es im Spital nicht einmal mit Bier versucht Limonade es war alles so grenzenlos.

So geht die Hilfe wieder ohne zu helfen weg.



„Untereinander verständigen sie sich ähnlich wie Dohlen“

(Pavel Schmidt)

Als Mensch wie als Schriftsteller war Franz Kafka eine Verkettung von gewaltigen Paradoxa. Seine Fragmente, Parabeln, Aphorismen, Erzählungen und Zeichnungen sind es heute noch und in diesen geschieht nichts Erklärliches.

Nach der Lektüre verbleibt das Befinden von Verwirrung, Verstörung, Verzerrung von etwas Unwirklichem, Unfertigem, von Lebensbedrohendem. Wie kein anderer Schriftsteller fand Franz Kafka Eingang in die Wörterbücher westlicher Sprachen: KAFKAESK, kafkaïen, kafkovština, kafkaesco, kafkovski, kafkaesque, kafka-like … Diese Begriffe sind etabliert so für seine Schriften als auch neuerdings für die Deutung seiner Zeichnungen. Die Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten in Literatur und bildender Kunst sind in der Person Franz Kafka parallel vorhanden, beziehungsweise gleichzeitig gegeben. Zwei Wege, zwei Fähigkeiten, ein Individuum. Schreiben und Zeichnen bei Kafka ist vergleichbar mit einer Mutter, die embryonale Zwillinge in ihrem Leibe trägt. Kafkas innere Welt aus Wort und Bild entwickelt organisch ihre ureigene innere Wirklichkeit. Die innere Welt einmal sichtbar und somit lesbar geworden, beginnt sich neben ihr, die äussere Welt einzufinden: Für den Schöpfer eine konstruktive Rückkoppelung, für den Leser eine endlose Entdeckungsreise und somit die Entstehung einer äusseren Wirklichkeit. Resultierend erscheinen die Durchdringungen von innen und aussen als Geburt einer palindrom-artigen Spiegelung. Nämlich die Innenwelt der Aussenwelt, sowie die Aussenwelt der Innenwelt mitsamt ihren Wirklichkeiten und Unwirklichkeiten. Nicht im psychologischen Sinne als nach aussen projizierte Träume / Alpträume auch nicht als eine im Inneren sich zum Labyrinth wandelnde äussere Wirklichkeit, sondern allemal im Sinne des wissenschaftlich anschaulichen gläsernen Kopfes. Die Kopfform taucht immer wieder in Kafkas Werk auf und oft scheint es, als schauten wir unmittelbar in unseren eigenen Kopf hinein.

Weil der Sprache-Zeichnung-Komplex beim Urheber ein einheitliches Ganzes erschaffend, aber ohne in den Nexus von Narration und Illustration zu geraten, visualisiert die Zeichnung das Geschriebene nicht – ebenso wie die Schrift nicht das sichtbar Gezeichnete beschreibt. Nicht wie im Sinne von Paul Klee: „Kunst gibt nicht das Sichtbare wieder, sondern Kunst macht sichtbar“. Nicht nur in diesem Sinne, sondern darüber hinaus – und das macht Kafka einzigartig – wiedergibt er in seinem Werk das Menschliche, das zutiefst Menschliche an Imaginärem, an Visionen, an Fiktivem, am Wirklichen und zwar auf eine verstörende Weise natürlich und wie selbstverständlich, sich dem Lauf des Schicksals ergebend. Es drängt sich, vergleichend betrachtet, ein intensiver Trieb (Eros nach Platon) nach etwas, das Kafka zu wissen scheint, aber nicht kennt. Ein imaginärer Spiegel entwirft das Bild von etwas Unbekanntem, das wir als Betrachter ebenfalls nicht kennen, nicht wissen, das uns aber dennoch in seinen Bann zu ziehen vermag. Ist dies das Paradoxon des Sokrates, ist es das Paradoxon vom Wissen vom Nichtwissen, ist dies das Paradoxon des Gleichzeitigen vom a priori mit a posteriori, ist es das Paradoxon des Wissens um das Sterben, vom Wissen zu Lebzeiten vom Tod, nicht kennend aber ahnend, wissen. Kafka schafft es einzigartig, Sprache ohne eindeutige Bilder und Bilder ohne eindeutige Sprache hervorzubringen. Dies ist nur innerhalb der Doppelbegabung möglich, indem jede der beiden Gaben ihre Grenzen kennt, auslotet und im Geiste vereint.

 

„Immer wieder hört man diesen Schrei der Dohlen“

 

Doppelbegabungen wie etwa von der Mitte des 19. Jahrhunderts an bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in den äusserst angespannten Zeiten der Kriege, Revolutionen, Katastrophen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Paradigmenwechseln, die in Literatur, Musik, bildender Kunst, Theater und nicht zuletzt in der Fotographie und im Film ihr unverkennbares, einmaliges Echo finden: Wir kennen Doppelbegabungen wie Guillaume Apollinaire, Jean Cocteau, Hugo Ball, Hans Arp sowie Künstler des Dada und Surrealismus, Wassily Kandinsky, Antonin Artaud, Wilhelm Busch, August Strindberg, Victor Hugo, Friedrich Dürrenmatt, Alfred Kubin, Paul Klee, Hermann Hesse nur um einige exemplarisch im Zusammenhang von Literatur und Kunst zu nennen. Naturwissenschaften, Geisteswissenschaften und Politik sind neuartigen Anamnesen, Diagnosen, Therapien und Prognosen ausgesetzt. Analysen von Auswegen sich beschleunigender, sozial-kultur-historischer Phänomene nicht nur örtlich auch den ganzen Erdball erfassend, gehen vor sich. Beispielhaft wie Jules Vernes visionär utopische Reise zum Mond sich innerhalb nur weniger Jahrzehnte bewahrheitet. Kafka ist ein Seismograph seiner Zeit. Kafka ist Zeitzeuge dieser Ereignisse. Er hat sich seinen Fähigkeiten, doppelt begabt zu sein, sowohl verschrieben wie auch verzeichnet. In seiner verrückten Zeit, in ihr und aus ihr heraus hat er Antizipationen geschaffen – mit allen Mehrdeutigkeiten dieser Begriffe und ihrer Kombinationen und ihrem gegenseitigen Vertauschen: vertauschen, verschreiben, verzeichnen, verrücken.

 

Wie Jäger Gracchus, der das Leben im Tode als auch den Tod im Leben erfuhr. Das Ziel des Lebens gemäss Sigmund Freud ist der Tod, ist die Rückkehr des Organischen zum Anorganischen, dem vermutlich früheren Zustand unseres Seins. Unsere Aktivität nützt sich ab und so sterben wir. Weil wir, in einem unheimlichen Sinne, sterben müssen und wir das wissen.

„Ich bin hier, mehr weiss ich nicht, mehr kann man nicht tun. Mein Kahn ist ohne Steuer, er fährt mit dem Wind, der in den untersten Regionen des Todes bläst.“

Pavel Schmidt

Februar 2024


“They communicate with each other much as jackdaws do”

 

As a man and as a writer, Franz Kafka was a concatenation of enormous paradoxes. His fragments, parables, aphorisms, stories and drawings still are today, and nothing explicable occurs in them.

After reading, one is left with a sense of confusion, vexation, a distortion of something unreal, unfinished, of something life-threatening. Franz Kafka found his way into the dictionaries of Western languages like no other writer: KAFKAESK, kafkaïen, kafkovština, kafkaesco, kafkovski, kafkaesque, kafka-like … These are established terms both for his writings and, of late, for the interpretation of his drawings. The search for modes of expression in literature and the visual arts coincide, or rather, coexist in Franz Kafka. Two paths, two skills, one individual. With Kafka, writing and drawing can be likened to a mother carrying embryonic twins in her womb. Kafka’s inner world of word and image organically develops its very own inner reality. The inner world having become visible, and thus readable, the outer world begins to emerge alongside: for the creator, constructive feedback; for the reader, an endless journey of discovery and thus the genesis of an outer reality. As a result, the interpenetrations of inner and outer are manifested as the birth of a palindromic mirroring. Namely, the inner world of the outer world and the outer world of the inner world, with all their realities and unrealities. Not in the psychological sense, as dreams or nightmares projected outwards, nor as an outer reality metamorphosing into a labyrinth inside, but certainly in the sense of the glass head used for scientific demonstration. The shape of the head is a recurrent theme in Kafka’s work, and it often seems as if we are looking straight into our own head.

Because the complex of language and drawing constitutes a unified whole in the originator, albeit without lapsing into the nexus of narration and illustration, the drawing does not visualise the writing – just as the writing does not describe the visible drawing. Not in the sense implied by Paul Klee: “Art does not reproduce the visible; rather, it makes visible.” Not only in this sense but also beyond – and this is what makes Kafka unique – in his work he portrays the human, the profoundly human nature of the imaginary, visions, fiction and reality, and he does so in an unsettlingly natural way and as a matter of course, resigning himself to the path of fate. Taking a comparative perspective, one is immediately reminded of a strong drive (what Plato refers to as eros) for something that Kafka would seem to know by description but not by acquaintance. An imaginary mirror conjures up the image of something unfamiliar, something which we too, as onlookers, know neither by description nor acquaintance but which is nevertheless capable of captivating us. Is this the paradox of Socrates, is it the paradox of the knowledge of ignorance; is this the paradox of the simultaneity of a priori and a posteriori; is it the paradox of the knowledge of dying, the knowledge of death even as we live – knowing not by acquaintance but by premonition, by description. In his unique way, Kafka brings forth language without unequivocal images and images without unequivocal language. This is only possible because he is doubly gifted, because he is aware of the limits of each of these gifts, probing them and bringing them together in his mind.

 

“A screeching as of jackdaws is always in our ears”

 

Doubly gifted individuals such as Kafka have left their unmistakable, unique mark on literature, music, visual arts, theatre and, not least, photography and film from the mid-19th to the mid-20th century, in the highly fraught times of war, revolution, disaster, political, social and economic paradigm shifts: We are familiar with doubly gifted individuals such as Guillaume Apollinaire, Jean Cocteau, Hugo Ball, Jean Arp as well as the artists of Dada and surrealism, Wassily Kandinsky, Antonin Artaud, Wilhelm Busch, August Strindberg, Victor Hugo, Friedrich Dürrenmatt, Alfred Kubin, Paul Klee or Hermann Hesse, to list but a few examples in connection with literature and art. Science, the humanities and politics are faced with novel anamneses, diagnoses, therapies and prognoses. Analyses of escaping increasingly fast-paced social and cultural, historical phenomena are underway not only on a local but also global scale. It is exemplary how Jules Verne’s visionary utopian Trip to the Moon was fulfilled within the space of a few decades. Kafka is a seismograph of his times. Kafka is a contemporary witness to these events. He devoted himself to his talents, to being doubly gifted, both in writing and in drawing. In his disjointed age, in it and from out of it, he created anticipations – with all the ambiguities entailed by these terms, by combining and interchanging them.

 

Like the Hunter Gracchus, who experienced life in death and death in life. According to Sigmund Freud, the aim of life is death, the return of the organic to the inorganic, what is presumably the former state of our being. Our activities wane and so we die. Because, in an uncanny sense, we must die and we know this to be so.

“I am here, more than that I do not know, further than that I cannot go. My ship has no rudder, and it is driven by the wind that blows in the undermost regions of death.”

Pavel Schmidt

February 2024

 














Labor für Kunst – Venedig 2022

Das Ausstellungsprojekt Labor für Kunst versammelt 10 Kunstpositionen. Der Ausstellungstitel Labor für Kunst soll eine Nähe zwischen Kunst und Forschung signalisieren. Das Projekt versteht sich als Replik zur aktuellen globalen Vertrauenskrise. Diese Krise manifestiert sich in einer verunsicherten Öffentlichkeit, bestimmt von Fake News oder Alternative Facts und in Misstrauen gegenüber Errungenschaften des “Fortschrittes”. Die Frage, ob es eine angemessene Reaktion seitens der Kunst auf diese Situation gibt, soll unbeantwortet bleiben. Die Nähe von Kunst und Forschung, eine symbiotische Beziehung, soll betont werden. Denn Naturwissenschaften und Humanwissenschaften bestimmen das gesellschaftliche Leben in hohem Maße. Die Sprachen der Kunst resultieren aus einem Dialog mit diesen Forschungsleistungen. Die Bewertungsgrundlage der Forschung und der Wissenschaft ist die Evidenz. Kunst wird bewertet in sehr unterschiedlichen Maßstäben. Kann Kunst die Evidenz bewerten?



The Laboratory for Art exhibition project assembles ten artistic positions.

The title of the exhibition, Laboratory for Art, is intended to indicate a closeness between art and research.

The project is a response to the current global crisis of confidence.

This crisis manifests itself in public insecurity, marked by fake news or alternative facts, and in a distrust of the achievements of “progress”.

The question of whether art can react appropriately to this situation is to remain unanswered.

The aim is to emphasise the closeness of art and research, their symbiotic relationship.

After all, the natural sciences and the humanities have a profound influence on life in society.

The languages of art result from a dialogue with these research outputs. Evidence is the basis on which research and science make their assessments. Art is assessed by a wide range of different standards.

Can art assess evidence?


Il “Laboratorio dell’arte” (Labor für Kunst) riunisce 10 posizioni artistiche in un’unica esposizione. Il titolo vuole segnalare l’esistenza di un nesso fra arte e ricerca scientifica.

Il progetto si pone come replica dell’attuale crisi globale del senso di fiducia.

Tale crisi si manifesta nell’insicurezza dell’opinione pubblica, influenzata da fake news o fatti alternativi, e dalla diffidenza verso le conquiste del “progresso”.

Il quesito sul se vi sia una reazione appropriata da parte dell’arte a questa situazione resta senza risposta.

L’accento cade, piuttosto, sulla prossimità fra arte e ricerca scientifica, sul loro rapporto simbiotico.

Poiché le scienze naturali e quelle umanistiche condizionano ampiamente la vita sociale.

I linguaggi dell’arte scaturiscono dal dialogo con queste attività di ricerca. Il fondamento in base al quale si valutano la ricerca e la scienza è l’evidenza. L’arte viene giudicata secondo le unità di misura più disparate.

Può l’arte valutare l’evidenza?





Panopticum – The Austrian Maze

Venedig 2019

Wolfgang Hiller, Director at the European Parliament Strassburg:

Lost in delusion – The Austrian Maze
Reflections about Europe and the labyrinth
After centuries of war on European soil, peace and prosperity have been the promise of European integration. The founders of that dream based themselves on the principles of democracy and the respect of fundamental rights, such as freedom of expression and the balance of power between Institutions. While East and West have united, and Europe has grown in diversity, what we have achieved is in danger again. The world is in turmoil, as is Europe. Ghosts of the past, which we thought to have left behind, are reappearing. Nationalism and Illiberalism are on the rise. It may be true that history never repeats itself exactly the way it played out in the past. However, false promises threaten to endanger the shaky political and societal progress and the stability we have achieved. If we are not careful, there might therefore be a risk of getting lost in the maze, and it might be painful to find out again. In this setting, artists play an important role in observing and grasping the meaning of the world in which we live, and to share what they can see with the societies around them. The project ‘Panopticum – the Austrian Maze’ – provides plenty of opportunity for such critical observations. It bridges past with present, and by doing so, it also looks into the possible future. This raises awareness and inspires reflection, but still allows room for individual interpretation and learning. Allowing yourself to be lost in the maze, you immerse into Brendan Kronheim’s world of paintings (Ein Land – Ein Laecheln /One Country – One Smile) – a collection of pictures depicting faces and smiles of historic and political figures of three distinct phases of the Austrian past. A great number of renowned fellow artists have also contributed to the project with pictures and texts, presented in the form of slides. The whole project is well in the tradition of Brendan Kronheim’s long-term artistic work. It combines craftsmanship with thorough historical reflection, notably in the European context, going back not just to the time of after the Second World War, when the seeds for the current European Union were sown, but often to a much further past, recalling Europe’s mercurial history, rich of conflict and wars. As the continent has so often been soaked with blood throughout centuries, the objective of European integration is to overcome previous divides and to bring freedom and prosperity. However, current times remain confusing and contradictory. In this framework, this project reminds us to discover the truth behind appearances, to be vigilant, and to defend our values of peace and of fundamental rights wherever and whenever we can. In view of historical developments and decisions to take, 2019 – as the year when European Elections are taking place again – is a crucial year for that defence. That is why this exhibition comes just at such a right moment.


Albert Müller, Dept. Contemporary History University Vienna:

Panopticum. The Austrian Maze 2019

In the context of the project Panopticum. The Austrian Maze 2019, visual artist Brendan Kronheim (*1970) acts as curator of a slide show, a collection of artistic and literary contributions of varying origin and form. The general theme is Austrian history, above all the last two decades, but also retrospective views of Austrofascism, Nazi rule, and the early days of the Second Republic. While the underlying method of the slide show is concatenation, the aim is not to relate a linear story but instead to examine certain selected aspects and chapters by means of the individual contributions. This results in abrupt changes of perspective with regard to the topics being dealt with.

Philipp Wegan (*1968) presents a picture of the Federal Chancellor Josef Klaus entitled ein echter achtundsechziger (a real sixty-eighter). This is both a reference to the precarious situation in Austria in 1968 (cf. the art action Eine heiße Viertelstunde, “A hot fifteen minutes”) and to the ambivalence of Klaus’s personality as someone who advocated technical progress and modernisation but who, socially, remained extremely conservative.

The video Meines (Mine) by Judith Lava (*1970) shows a balloon being inflated, representing a globe. In increasingly wild gestures, the globe is filled with writing in black felt pen. Only the location of Austria is left free, an allegory of the widespread localism found in Austria (“Mia san mia”, we are who we are; literally, we are us). The writing ends with the balloon bursting.

In her text contribution, writer Elfriede Jelinek (*1946) harks back to the unsolved death of the Slovakian nurse Denisa Soltisowá, whose naked body was found on a river bank. Her death was probably the result of a violent crime.

Karl Grünling’s (*1964) sentence Wohin es auch geht, wir sind dabei! (Wherever they go, we will follow) spotlights the theme explored by Elias Canetti in Crowds and Power, mass behaviour in which individuals relinquish their personal responsibility.

Brendan Kronheim (*1970) presents his 3X3 image series Ein Land – ein Lächeln (A country—a smile) depicting the mouths of three Austrofascists, three Nazis, and three Freedom Party (FPÖ) politicians. As in Panopticum, the focus here is on continuity beyond political system upheavals.

Ivica Schmid’s video Speed kills quotes the parliamentary leader of the Austrian People’s Party (ÖVP) Andreas Khol, who used these words to describe the “Reform” policy of the ÖVP/FPÖ government as of 2000. The video shows fragments from demonstrations of the protest movement against the black-blue coalition.

Elisabeth Schafzahl (*1964) shows a Ruhekissen (Cushion/Pillow) with a print of a detail of an iconic photo: Foreign Minister Leopold Figl waving the signed Austrian State Treaty on the balcony of the Belvedere in 1955, an allusion to a central national myth in Austria.

Writer Olga Flor (*1968) presents the words Wir wird durch seine Hohlform definiert, die gibt man nach Gebrauch bereitwillig verloren (We is defined by its mould, that is readily discarded after use). The question raised here concerns collective identity and its fragility.

Michael Nowottny’s (*1961) Ein Ort steht Modell (A place acts as a model) shows a rural community dressed in traditional Austrian costume. At the centre is a couple, the man wearing lederhosen, the woman, an Indian, dressed in a sari.

Franz Wassermann’s (*1963) video in a video Jetzt gehöre ich zu Euch (Now I am one of you) shows a young man in a dark suit, white shirt and tie sitting on a chair. A jar of May bugs stands on the floor next to him. After waiting in silence for a time, the man bends down, takes a May bug out of the jar, bites off its head and spits it out. He repeats the procedure. The allusion is to rites of passage and initiation ceremonies.

Julya Rabinowich’s (*1970) sentence Der Tanz der sieben Populismusschleier verbirgt den abgetrennten Kopf der Demokratie! (The dance of the seven veils of populism conceals the severed head of democracy!) alludes to the Biblical story of Salome, while also making drastic, blunt reference to the current political situation in which populist politicians are taking steps that endanger democracy in Austria and other European countries.

Markus Murlasits (*1969) contributes a caricature of the painter Odin Wiesinger, described by FPÖ presidential candidate Norbert Hofer as his favourite painter.

The video POZOR! (Czech for “Attention”) by Michael Mastrototaro (*1970) shows “reeling” tracking shots from a performance by Sabina Holzer.

Hannah Feigl (*1966) presents a Mädchen mit Kopftuch (Girl with headscarf). The image depicts a smiling female migrant.

Lukas Pusch (*1970) shows a woodcut-style representation of Cologne cathedral accompanied by the Arabic characters for “Allah is great”, alluding to widespread Islamophobic tendencies.

Gerd Mies’s Bollwerk (Wotruba) (Bulwark (Wotruba)) deals with the church designed by the sculptor Fritz Wotruba in Mauer, one of the most important architectural monuments of the Second Republic.

Kasper Kovitz’s (*1968) piece no title (police flag Washington Square Park) refers to Washington Square Park in New York City, where the police forcefully ended a peaceful protest by musicians in 1961.

Laibach & Saup’s music video Vor Sonnen-Aufgang (Before sunrise) based on a text by Friedrich Nietzsche shows images from the town of Haigerloch (Baden-Württemberg), the site of a research reactor in World War II on which physicist and Nobel prize-winner Werner Heisenberg worked at various times. One aim of this research was to look for ways of developing a nuclear weapon. Due to a lack of resources and time it was not possible to bring the technology to fruition by the end of the war.

The words Es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen (It won’t be possible without some ugly images) displayed by Arye Wachsmuth (*1962) on the side of a lorry were uttered by Austrian Foreign Minister Sebastian Kurz in an interview with the daily newspaper Die Welt on 13 January 2016 in the context of reflections on defending the external borders of the EU. It was a white lorry in which 71 refugees from Iraq, Afghanistan, Syria and Iran were found dead on 27 August 2015.

The final credits conclude the slide show Panopticum. The Austrian Maze. The show assembled by Brendan Kronheim lasts more than forty minutes. Taking a wide range of different angles, the show addresses various problems from the history and present day of Austria. What we see are not only artistic and literary posits, but also historico-political and sociological statements of tremendous relevance to the current situation. The non-linear nature of the historical process corresponds to the non-linear composition of the slide show.




Kunst auf Rezept: Die Apotheke der Kunst

von Claudia Schnugg

May 18, 2017

In der Ausstellung „art on prescription – artists fill in prescriptions“ ist seit 13. Mai das partizipative Kunstprojekt „Kunst auf Rezept“ des österreichischen Kunstvereins precarium in einem Offspace nahe des Arsenale für die Dauer der Biennale in Venedig zu sehen. Das Projekt hinterfragt die Wirkungen und Verordnungen der Kunst indem gewöhnliche Rezeptscheine als Medium für KünstlerInnen genutzt werden, die wohl alle von Arztbesuchen kennen. Auf den Rezeptscheinen sind in der Ausstellung nicht mehr die Verordnungen von behandelnden ÄrztInnen zu sehen, sondern Verordnungen in der Form von Arbeiten der teilnehmenden KünstlerInnen. Diesen „Verordnungen zur Kunst“ sind aus künstlerischer Perspektive keine Grenzen gesetzt: Bildende KünstlerInnen haben die Freiheit, das Medium als Basis für ein Bild zu nutzen, wie auch KonzeptivkünstlerInnen Anweisungen formulieren können oder LiteratInnen Texte und Gedichte darauf festhalten können. Mittlerweile haben 144 Künstlerinnen und Künstler unterschiedlichster Herkunft Rezeptscheine für das Projekt „ausgestellt“ – und es werden laufend mehr. Dabei werden Grenzen der Kunstgattungen, der Generationen, des Status und der Nationen überschritten und in der Form eines künstlerisch gestalteten Rezeptscheins gleichgestellt.

Der Kunstverein precarium – Labor für Kunst hat in Wien und Graz Ende 2015 „Kunst auf Rezept“ ins Leben gerufen. Die Idee für dieses Projekt entstand im Rahmen der Migrationskrise als sich precarium die Frage stellte, was denn KünstlerInnen in dieser Situation beitragen können und wie sich die Kunst dieser Realität stellen kann. Dabei war das erklärte Projektziel einen Raum – ein Labor – für Kunst zu schaffen, in dem Menschen sich verorten und wieder zu Schaffenden werden können. Die Nutzung der Rezeptscheine als Medium bildet in diesem Zusammenhang nicht nur eine spannende Grundlage um über mögliche Wirkungen und Eingriffsmöglichkeiten der Kunst nachzudenken, sondern schafft auch die Verbindung zum Labor der Apotheke, wo traditionell Heilmittel nach Verordnungen auf Rezeptscheinen abgemischt wurden. In diesem Sinne wurde das Projekt 2016 in der ehemaligen Josefsapotheke in Wien Meidling gezeigt und es wird mit einer großflächigen Illustration an den Wänden des Offspace in Venedig die Illusion der Räumlichkeiten einer Apotheke erzeugt.

Diese Nähe zum Herstellen der Produkte, die den Menschen dann Nutzen bringen, positioniert sich hier im Gegensatz zur blinden Konsumgesellschaft, in der das fertige glänzende Produkt im Mittelpunkt steht, welches ohne Bezug auf seine Herstellung konsumiert wird. Das Tun steht für die aktive Auseinandersetzung mit Kunst und der eigenen Situation. Dieses Tun wird verordnet, ebenso eine aktive Kunsterfahrung, die durch diese künstlerischen Rezeptscheine ermöglicht wird. Dabei werden die Werke aller KünstlerInnen im Projekt gleichgestellt, unabhängig welchen Status die KünstlerIn an Galerien einnehmen oder welche Kunstgattung sie vertreten. Grundlegend für dieses Projekt war auch sich vom Kunstmarkt abzuheben und die Kunstwerke nicht als Aktie zu sehen, sondern als etwas, das produziert wird und Menschen berührt. Das greift precarium auch in der Idee auf, dass eine Reproduktion dieser Kunstwerke für den Preis einer Rezeptgebühr auf einem Rezeptschein erhältlich sein sollte.

Die Verbindung zur Medizin und zu PatientInnen, zur Verschreibung von Kunst als Heilmittel ist in „Kunst auf Rezept“ auf mehreren Ebenen allgegenwärtig. Wofür kann die Verordnung der Kunst dieses Heilmittel sein und wie kann es wirken? Wirkt die Kunst auf die Regeneration einer Einzelperson? Sind Begegnung auf Augenhöhe und eigenständiges Schaffen kreativer Lösungen essentiell für einen Heilungsprozess der Gesellschaft? Und kann so weit gegangen werden, dass eine Verordnung zur Kunst die Gesundheit der Gesellschaft und der Individuen beeinflussen kann?

Diese Fragen stellt sich nicht nur die Kunst, sondern sie werden darüber hinaus in weiten Feldern der Wissenschaft erforscht: Konkret wird momentan u.a. in der Neurowissenschaft, dem öffentlichen Gesundheitswesen, der Psychologie, der Gesundheitsforschung und den Sozialwissenschaften an Fragen geforscht, ob und wie sich die Auseinandersetzung mit Kunst auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirken kann. Die Ansätze gehen dabei klar über Kunsttherapie hinaus, die momentan gezielt in therapeutischen Sitzungen und bei Interventionen in Organisationen eingesetzt wird. Kunstschaffen und Kunsterfahrung können positive Auswirkungen auf den Organismus und die Psyche haben. Zum Beispiel kann das Hören von Musik beruhigen, Schmerz reduzieren und Motivation steigern. Somit ließen sich basierend auf Forschungsergebnissen schon erste Verordnungen zur Kunst formulieren.

Darüber hinaus sind WissenschaftlerInnen im öffentlichen Gesundheitswesens und den Sozialwissenschaften an der Frage interessiert, wie denn die Auseinandersetzung mit Kunst eine größere Gemeinschaft als Kollektiv oder die Gesellschaft beeinflusst. Studien zeigen, dass sich allein der regelmäßige Besuch von Kunstveranstaltungen positiv auf die Gesundheit der Personen auswirken kann oder benachteiligte Gemeinschaften sich besser entwickeln und einen erhöhten Gesundheitsstandard aufweisen, wenn eine regelmäßige Interaktion mit Kunst stattfindet. Neben den eigentlichen Wirkungen der präsentierten Kunst (das Erleben des Theaterstückes, der Musik oder der Bilder) sind also soziale Inklusion, die gemeinschaftsbildende Funktion der Kunst, Empowerment und die positive Gestaltung der Lebenswelten der Menschen essentiell für diesen positiven Effekt. Kunst ist in der Lage, soziale Faktoren positiv zu beeinflussen, die eben auch wichtige Faktoren für die Gesundheit darstellen: Menschen, die sich von der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen und deren Lebenswelt sich negativ gestaltet, oder die denken, sie haben keine Einflussmöglichkeit in der Gesellschaft, leiden auch oft unter einem schlechteren psychischen und physischen Gesundheitszustand oder ziehen sich von der Gesellschaft zurück. „Kunst auf Rezept“ ist ein exemplarisches partizipatives Kunstprojekt, das genau hier ansetzt. Das Projekt schafft es, Menschen zu verbinden und sie einander auf Augenhöhe begegnen zu lassen. Es schafft einen Raum, der alle zum Experimentieren und Schaffen von Kunst einlädt. Und darüber hinaus verordnet es konkret Kunst: sich einzelnen Werken auf Rezept zu stellen.

 

Etwas weiterführende Literatur:

Hundstorfer, E.M., Bertsch, M., Bernatzky, G. (2015): Schmerzlinderung durch Musikexposition. Musiktherapeutische Umschau: Band 36(1): 8.19. (Link)

Schäfer, T., Sedlmeier, P., Städtler, C., Huron, D. (2013): The psychological functions of music listening. Frontiers in Psychology 4: 511 (Link)

Belfiore, E., Bennett, O. (2007): Determinants of Impact: Towards a Better Understanding of Encounters with the Arts. Cultural Trends 16(3): 225-275. (Link)

Stucky, H. & Nobel, J. (2010): The Connection Between Art, Healing, and Public Health: A Review of Current Literature. American Journal of Public Health 100(2): 254-263. (Link)


Kunst auf Rezept – Art on Prescription

Lucas Gehrmann at the opening in Vienna (29/2/2016) and Graz (6/5/2016)

As the title of an exhibition, Kunst auf Rezept – “KünstlerInnen stellen Rezepte aus” – is a clever play on words, using, as it does, the German word ausstellen, meaning both to exhibit art and to make out a prescription, usually the preserve of doctors. Armed with a prescription made out by the latter, one enters a room such as this – formerly a chemist’s – and receives medicine in return for it. Whereas this medicine was once made up at the chemist’s, in its laboratory, today it usually comes out of a drawer in the form of an industrially prefabricated, prepackaged medicine. The prescription [German: Rezept, literally recipe] thus rarely requires a recipe any more, generally containing and describing a finished product.

But making out (and receiving) prescriptions/recipes can also be seen as a metaphor of our modern-day living and working habits: we live and work, think and act almost exclusively on the basis of prescriptions/recipes. It starts at school, with children reproducing something already produced and being rewarded for creating as faithful a “copy” as possible. Hardly ever are they encouraged to experiment or question these “recipes” prescribed by the curriculum. The effects are obvious: politicians, businesspeople and many other potential patrons of the arts have not undergone training in arts subjects and are thus entirely incapable of recognising art as the crucial factor in shaping our society that – not only as “cultural staple” – it can potentially be. This, in turn, is a particular affliction for the promotion of contemporary art. According to statistics from 2008, the situation of visual artists in Austria is as follows: only 9% of all artists receive grants and prizes, all of 8.5% see themselves as fairly well established. 50% generate an annual income of less than €10,000 – although working more than fifty hours a week.

“Art on Prescription” can be seen as an initiative that, instead of lamenting such “conditions”, takes action to rectify this unbalanced situation of art education to some extent. It does so at two levels: firstly with the aid of the special prescriptions themselves. The forms do not contain the names of medicines, but rather little artworks (or, to be precise, limited-edition reproductions of these works). Thus, instead of medication, they “prescribe” the appreciation of art. These prescriptions for art preparations are on display at those dispensaries participating in this project (currently XY and counting) and can be bought by their customers and visitors – in blocks of as many prescriptions or sheets as artist are taking part in the project (forty-four at the end of February 2016, and roughly sixty at the beginning of May). The price of a single prescription/sheet corresponds to the prescription charge per item levied by the health insurance institutions (currently €5.70). Therefore, available for purchase are the multiples, that are also on show in as many places as possible where art is not usually present, nor is it expected. Art on Prescription thus above all sets out to reach people who do not normally experience, let alone purchase (contemporary) art. Chemist’s are frequented – more or less voluntarily – by everyone, whereas exhibition centres, museums and galleries of contemporary art, almost exclusively by those with an

explicit interest in art or those who are part of the “art scene” themselves – like most of us today as visitors of the Grazer Galerientage. Art on Prescription is a kind of art in public space, that we can experience without any outer or inner inhibitions. People find and discover it in the chemist’s as if by pure chance, and can even purchase it inexpensively should it prove to their liking. What is more, no further explanation or educational prescriptions are required to “understand” this art, as the supports (the prescription forms) and their frame (the chemist’s) make the meaning and concept self-evident.

The second step in offsetting the aforementioned deficits in terms of art education takes place at a subsequent, even more practical level: the revenue from sales of the multiples is to go to funding a cross-generation, international production site for art, an open studio with a range of workshops to be run by the two protagonists of the project, Elisabeth Schafzahl and Philipp Wegan, as part of their precarium kunstverortung initiative.

Art on Prescription is thus an ongoing project that, in keeping with the wishes of its initiators, “is to become established as a format that forges a link between the audience and the artists making out/exhibiting the prescriptions by creating a kind of cycle.” And it is a participatory project in which the artists, the audience, and the distributors of the prescriptions – i.e. the chemist’s – take part.

Integral to the distribution of these prescriptions is their reproducibility. While the original prescriptions can be viewed here in this exhibition, the chemist’s present only reproductions in the form of the aforementioned prescription pads. The prescriptions are reproduced as colour photocopies that, while not traditional art print media (although there are of course exceptions, for example Arnulf Rainer’s “Photostats”), are the ideal match for the idea behind the project: colour copies are inexpensive to make and do not disguise themselves with the aura of artistic craftsmanship. At the same time, this method reflects the above- mentioned everyday practice of simply “copying” all kinds of prescriptions (recipes) in a highly humorous or indeed ironic manner. In addition to this aspect of copying, the artistically made out/exhibited prescriptions also provide food for thought regarding the relationship of image and text in the everyday context. Instead of text in the strict sense, a standard prescription indicates the name of a product, generally resembling a code that can be deciphered only by specialists, i.e. doctors and pharmacists. On these forms, however, it is various images that come into play – a visual code, if you will, based not on a product name, but rather a message. Unlike a written designation, an image is ambiguous and may be interpreted in many different ways. On the other hand, an image (at least in a format such as this) can be taken in at a glance and requires no linear-causal decoding, as does reading words, in order to be recognised. Roland Barthes therefore once observed that the image is “more powerful” than the written word. It always comes at the end, is irrevocable and always has “the last word”, as it were. The artists’ approach to the use of images and texts varies greatly on the prescription forms. Some draw or paint their own images, some use photos and other reproductions in the form of a collage, others prefer pure textual formulations, for example instructions. Most common are combinations of these and other options.

Art on Prescription allows many other associations, for example with the pharmaceuticals industry and its commercial interests, that only too often clash with the original task of manufacturing and distributing real cures. Therefore, Art on Prescription preferably selects chemist’s as participants who also offer alternative medicine products. These are, however, rarely available “on prescription”. Instead, there is now Art on Prescription, although you won’t be able to “read the package leaflet or ask your doctor or pharmacist” about any “effects or possible undesirable side-effects”.

 

 

 

Kunst auf Rezept

Lucas Gehrmann zur Eröffnung in Wien (29. 2. 2016) und Graz (6. 5. 2016)

Kunst auf Rezept – „KünstlerInnen stellen Rezepte aus“ – ist als Ausstellungstitel zuerst einmal ein gelungenes Wortspiel, das sowohl den Begriff der Kunstausstellung enthält ist als auch das Ausstellen von Rezepten – welches normalerweise Ärztinnen und Ärzten vorbehalten ist. Mit einem durch Letztere ausgestellten Rezept kommt man in einen Raum wie diesem – der vormals eine Apotheke war – und erhält dafür ein Medikament. Dieses wurde früher in der Apotheke bzw. deren Labor selbst hergestellt, heute kommt es zumeist als industriell vorgefertigtes und verpacktes Fertigarzneimittel aus der Schublade auf den Ladentisch. Das Rezept erfordert somit kaum noch eine Rezeptur, es enthält bzw. beschreibt in der Regel vielmehr ein bereits fertiges Produkt.

Das Ausstellen (und Annehmen) von Rezepten kann aber auch als eine Metapher für unsere heutigen Lebens- und Arbeitsgewohnheiten verstanden werden: wir leben und arbeiten, denken und agieren fast durchgehend nach Rezepten. Das beginnt bereits in der Schule. Etwas Vorproduziertes wird reproduziert und die möglichst genaue Wiedergabe – quasi die „Kopie“ – desselben wird entsprechend positiv honoriert. Kaum einmal wird man dabei zum Experimentieren oder Hinterfragen solcher lehrplanmäßig verordneter „Rezepte“ angeregt. Dieses Prinzip hat sich trotz aller Schulreformen seit Maria Theresias Zeiten nicht wesentlich verändert. Verändert hat sich hingegen die Position des Faches Kunstunterricht („Bildnerische Erziehung“), indem dieses seit über 50 Jahren sukzessive abgewertet wird und heute in der Hierarchie des Fächerkanons ganz unten steht: eine Wochenstunde BE alternativ zu Musikerziehung in den Oberstufen der AHS. Ein möglicher Grund dafür: künstlerische Tätigkeit bzw. Produktion als eine kognitiv nicht messbare Leistung kann objektiv nicht bewertet und benotet werden. Wobei nebenbei gesagt ein kognitiv durchaus vermittel- und prüfbarer, lehrplanmäßig auch vorgesehener Anteil des Kunstunterrichtes – z.B. Kunstgeschichte – wenig bis gar nicht unterrichtet wird. Nicht selten wird dieses Fach im Schulsystem sogar als „Ventil für disziplinloses Verhalten“ diskreditiert. Diese Geringschätzung und eigentlich Missachtung des schulischen Kunstunterrichtes steht freilich im Widerspruch zu einer „Kulturnation“, als welche sich Österreich gerne bezeichnet. Die Auswirkungen liegen auf der Hand: Politiker/innen, Wirtschaftstreibende und viele andere potenzielle Kunstförderer haben keine Ausbildung in künstlerischen Fächern genossen und können Kunst somit gar nicht als jenen wesentlichen Anteil an der Gestaltung unserer Gesellschaft erkennen, der ihr – nicht allein als „Bildungsgut“ – potenziell zukommt. Darunter leidet wiederum und insbesondere die Förderung zeitgenössischer Kunst. Nach einer Statistik aus dem Jahr 2008 ist es um bildende Künstler/innen in Österreich wie folgt bestellt: nur 9% aller Kunstschaffenden beziehen Förderungen und Preise, ganze 8,5% betrachten sich selbst als halbwegs gut etabliert. Und 50% nehmen weniger als € 10.000 pro Jahr ein – und das bei einer Wochenarbeitszeit von über 50 Stunden.

„Kunst auf Rezept“ kann nun als eine Initiative betrachtet werden, die, anstatt über solche „Zustände“ zu lamentieren, selbst aktiv wird, um diese Schräglage der Kunstvermittlung etwas auszubalancieren. Das geschieht auf zwei Ebenen: Erstens über die besonderen Rezepte selbst, deren Formulare keine Arzneimittelnamen enthalten, sondern kleine Kunstwerke (genauer: deren Reproduktionen in limitierter Auflage). „Verschrieben“ wird hier also Kunstbetrachtung statt Medikamentierung. Diese Kunstmittelrezepte liegen in jenen Apotheken auf, die an dem Projekt partizipieren (derzeit XY, Tendenz steigend), und können von deren Kunden bzw. Besucher/innen erworben werden – im Block mit jeweils so vielen Rezepten bzw. Blättern, wie KünstlerInnen an dem Projekt teilnehmen (Ende Februar 2016 waren es 44, Anfang Mai etwa 60), wobei der Verkaufspreis des Einzelrezeptes/-blattes der krankenkassaseitig eingehobenen Rezeptgebühr pro Medikament entspricht (derzeit € 5,70). Erwerbbar sind somit die Multiples, die zugleich an möglichst vielen Orten sichtbar sind, an denen Kunst üblicherweise nicht präsent ist und auch nicht erwartet wird. Kunst auf Rezept wendet sich also vor allem an ein Publikum, das (zeitgenössische) Kunst sonst kaum bis gar nicht rezipiert oder gar erwirbt. Apotheken werden – mehr oder weniger freiwillig – von allen aufgesucht, Ausstellungshäuser, Museen und Galerien für zeitgenössische Kunst dagegen fast nur von jenen, die sich explizit für Kunst interessieren bzw. selbst Teil der „Kunstszene“ sind – so wie die meisten von uns heute als Besucher der Grazer Galerientage. Kunst auf Rezept ist quasi Kunst im öffentlichen Raum, die wir ohne äußere oder innere Hemmschwellen wahrnehmen können. In den Apotheken ist sie also wie rein zufällig zu finden und zu entdecken und kann bei nachhaltigerem Wohlgefallen auch noch wohlfeil erworben werden. Zum „Verstehen“ dieser Kunst bedarf es außerdem keiner weiteren Erläuterungen oder Vermittlungs-Rezepte, weil sich Sinn und Konzept über die Bildträger (die Rezeptformulare) und ihren Rahmen (die Apotheke) ganz von allein erschließen.

Der zweite Schritt zur Ausbalancierung der vorhin erwähnten Defizite in Sachen Kunstvermittlung findet auf einer nächsten und noch praxisorientierteren Ebene statt: Die Einnahmen aus den Verkäufen der Multiples sollen in die Finanzierung einer generationen- und nationenübergreifenden Produktionsstätte für Kunst fließen, ein offenes Atelier mit Workshopangebot, das von den beiden Protagonisten des Projekts, also Elisabeth Schafzahl und Philipp Wegan, im Rahmen ihrer Initiative precarium kunstverortung geleitet wird.

Kunst auf Rezept ist also ein ongoing project, das sich, wie seine Betreiber wünschen, „als ein Format etablieren soll, das die Rezipierenden in Verbindung bringt mit den die Rezepte ausstellenden Kunstschaffenden, indem eine Art Kreislauf geschaffen wird.“ Und es ist ein partizipatives Projekt, an dem die Kunstschaffenden ebenso teilnehmen wie die Rezipierenden und die das Rezept Distributierenden, also die Apotheken.

Bestandteil der Distribution dieser Rezepte ist die Reproduzierbarkeit derselben. Während Sie in dieser Ausstellung hier die Original-Rezepte betrachten können, liegen in den Apotheken ausschließlich deren Reproduktionen auf in Form der schon erwähnten Rezeptblöcke. Reproduziert werden sie als Farbkopien, die zwar nicht zu den klassischen Kunstdruckmedien zählen (Ausnahmen gibt es natürlich, wie etwa Arnulf Rainers „Photostate“), dafür aber konzeptionell der Projektidee geradezu perfekt entsprechen: Farbkopien sind kostengünstig herstellbar und tarnen sich nicht mit der Aura handwerklicher Kunstfertigkeit, und zugleich reflektiert dieses Verfahren die vorhin erwähnte Alltagspraxis des einfachen „Kopierens“ von Rezepten aller Art auf eine durchaus humorvolle oder auch ironische Weise. Neben diesem Aspekt des Kopierens bieten die künstlerisch ausgestellten Rezepte auch Reflektionsstoff zum Verhältnis von Bild und Text im alltäglichen Kontext. Auf einem normalen Krankenkassenrezept steht weniger „Text“ im eigentlichen Sinn als vielmehr der Name bzw. die Bezeichnung eines Produktes, die zumeist einem Code gleicht, der nur von Spezialisten, also den Ärzten und Pharmazeuten dechiffriert werden kann. Hier aber kommt auf diesem Formular immer wieder einmal ein Bild ins Spiel – ein, wenn man so möchte, visueller Code, hinter dem kein Produktname steht, sondern eine Botschaft. Ein Bild ist im Gegensatz zu einer schriftlichen Bezeichnung mehrdeutig und vielfach interpretierbar. Dafür ist ein Bild (zumindest in einem Format wie hier) auf einen Blick erfassbar, es bedarf nicht der linear-kausalen Entschlüsselung wie beim Lesen von Wörtern, um erkannt werden zu können. Roland Barthes hat daher einmal konstatiert, dass das Bild „mächtiger“ sei als die Schrift. Es stehe immer am Ende, sei unwiderruflich und habe gleichsam „das letzte Wort“. Auf den Rezeptscheinen gehen die Kunstschaffenden sehr unterschiedlich mit dem Einsatz von Bildern und Texten vor. Manche verfassen zeichnerisch oder malerisch eigene Bilder, manche setzen Fotos und andere Reproduktionen collagenartig ein, andere ziehen rein textliche Formulierungen wie etwa Handlungsanweisungen vor. Und Kombinationen aus diesen und anderen Möglichkeiten finden sich am Häufigsten.

Kunst auf Rezept lässt noch viele andere Assoziationen zu, wie beispielsweise zur pharmazeutischen Industrie mit ihren ökonomischen Interessen, die nur allzu oft im Widerspruch stehen zur ursprünglichen Aufgabe der Herstellung und Verbreitung echter Heil-Mittel. Kunst auf Rezept sucht daher vorzugsweise Apotheken als Partizipientinnen aus, die auch alternativmedizinische Produkte anbieten. Diese gibt es bisher allerdings nur selten „auf Rezept“. Dafür gibt es jetzt aber ja Kunst auf Rezept, über deren „Wirkung und mögliche unerwünschte Wirkungen“ allerdings weder „Gebrauchsinformation, Arzt oder Apotheker“ zu informieren vermögen.

 

Arte su Prescrizione Medica

Con Lucas Gehrmann a Vienna (29. 2. 2016) e Graz (6. 5. 2016) Arte su Prescrizione Medica – “Artisti emettono ricette“ (in tedesco la stessa parola per ‘mettere in mostra’) – è oltre al titolo della mostra prima di tutto un gioco di parole di successo con cui esprime il concetto di mostrare  l´arte così come l’emissione di ricette mediche – che è solitamente riservata ai medici. Con la ricetta rilasciata da quest’ultimi, si entra in una stanza come questa – che è una ex farmacia – come per ricevere un farmaco. La farmacia fa riferimento al laboratorio stesso dove un tempo fa si miscelava il medicinale, che oggi è in gran parte industrialmente prefabbricato e preconfezionato, preso dal cassetto sul bancone. La ricetta non richiede più una preparazione, ma descrive in genere piuttosto un prodotto già finito. Il redigere (o ricevere) delle ricette può essere inteso anche come una  metafora della nostra vita presente e di lavoro: viviamo e lavoriamo, pensiamo e agiamo quasi ininterrottamente per avere delle ricette. Gli effetti sono evidenti: I politici, uomini d’affari e molti altri possibili mecenati non hanno ricevuto una formazione in materie artistiche e possono quindi non riconoscono l´arte come contributo espressivo alla formazione della nostra società, che ne approfitta non solo come potenziale „patrimonio educativo“. In conseguenza di ciò, ne soffrono i finanziamenti per la promozione artistica, dell´arte contemporanea. Secondo le statistiche del 2008, la suddivisione dei finanziamenti per gli artisti in Austria è come segue: solo il 9% di tutti gli artisti riceve sostegno, mentre l´8,5% si considera come ben supportato.

Il 50% guadagna meno di € 10.000  l’anno – con una settimana lavorativa media di 50 ore.

„Arte su Prescrizione Medica“ può essere vista come un’iniziativa che, invece di lamentarsi per tale situazione, si è attivata al fine di bilanciare questa distorsione della educazione/formazione artistica. Questo avviene su due livelli: in primo luogo, sulle ricette specifiche stesse, con le forme che non comprendono nome del farmaco ma piccoli pezzi d’arte (o meglio, le loro riproduzioni in edizione limitata).

„Arte su Prescrizione Medica“ prescrive arte e non medicinali. Queste ricette sono esposte nelle farmacie che partecipano al progetto (attualmente 60, e sono in crescita), e possono essere acquistati dal cliente o visitatore, nel blocco, ognuno con tante ricette o fogli come artisti partecipanti  al progetto (fine febbraio 2016  erano 44, l’inizio di maggio 2016 circa 60), il prezzo di vendita della singola ricetta equivale al contributo di prescrizione per la ricetta (in Austria attualmente di € 5,70). Questi multipli sono esposti in tanti luoghi nei quali di solito non si aspetta di vedere arte.  “Arte su Prescrizione Medica” si rivolge principalmente a un pubblico che di solito non viene in contatto con arte (contemporanea). Persone frequentano le farmacie – più o meno volontariamente, contrariamente le sale espositive, i musei e gallerie d’arte contemporanea vengono visitati esclusivamente da coloro che in modo esplicito sono interessati  o fanno parte della „scena artistica“ – come ad esempio la maggior parte dei visitatori durante le ‘Giornate di Arte a Graz’. “Arte su Prescrizione Medica” è arte pubblica, che possiamo percepire senza inibizioni esterne o interne. Nelle farmacie quindi è possibile scoprire inaspettatamente l´arte, e acquistarla a buon mercato. „Capire“ quest’arte non richiede ulteriori spiegazioni o ricette chiarificatrici, perché aprendole si percepisce il significato e il concetto dell’immagine (le forme di prescrizione) e il suo contesto (farmacia) parla da solo.

Il secondo passo per bilanciare le suddette mancanze in materia di educazione/formazione artistica si realizza su un livello successivo e ancora più operativo: le entrate dalle vendite dei multipli sono investite nel finanziamento generazionale e internazionale di produzione d`arte, il uno studio aperto con il programma di laboratorio guidato da ‘arte precarium’ con i due protagonisti del progetto Elisabeth Schafzahl e Philipp Wegan. “Arte su Prescrizione Medica” è quindi un progetto in corso, che diventa un format destinato a connettere i destinatari con gli artisti che emettono/espongono le ricette,  in modo di creare un ciclo. È un progetto in cui partecipano gli artisti, i destinatari e quelli che distribuiscono l’arte, le farmacie. Parte della distribuzione di queste ricette è la riproducibilità della stessa. Mentre qui, in questa mostra, si è in grado di visualizzare le ricette originali, in farmacia si trovano solo le loro riproduzioni in forma di blocchi come da prescrizione già menzionati. Lì sono riprodotte come copie a colori, pur non essendo tra i media d`arte classica (ci sono eccezioni, naturalmente, come Arnulf Rainer „Foto di Stato“), ma concettualmente con l’idea di progetto quasi perfetto: le copie a colori possono essere riprodotte economicamente e non contrastano con l`aura artigianale della lavorazione; allo stesso tempo riflette questo processo la pratica quotidiana già citata, la semplice „copia“ di ricette di ogni genere in un modo abbastanza divertente o ironico. Oltre all’aspetto già citato, il copiare delle ricette artistiche esposte offre anche materiale di riflessione sul rapporto tra immagine e testo in un ambito quotidiano.  L´intestazione di una ricetta non deve essere una mera stampa di nome e indirizzo della cassa mutua, in senso stretto, ma piuttosto il nome o la ragione di un prodotto, la maggior parte dei quali è come un codice che può essere decifrato solo da medici e farmacisti. Ma ecco che arriva in questa forma ancora una volta un’immagine in gioco – un, se si vuole, codice visivo – dietro il nome del prodotto non c`è altro che un messaggio. Un’immagine in contrasto con una designazione scritta ambigua e spesso non interpretata. Quindi un’immagine è (almeno in un formato come questo) visibile in sintesi, non richiede la crittografia causale lineare come lettura di parole di essere sconosciuto. Roland Barthes ha una volta affermato che l’immagine „è più potente“ rispetto alla scrittura. Si trova sempre alla fine, e ha per così dire „l’ultima parola“. Sulle ricette gli artisti agiscono in modo molto diverso, sia con l’uso d’immagini che col testo. Alcuni presentano disegni o immagini pittoriche, alcuni set di fotografie o riproduzioni di collage, altri preferiscono formulazioni puramente testuali ad esempio le istruzioni. E combinazioni di queste e altre possibilità possono essere trovati frequentemente. “Arte su Prescrizione Medica” permette molte associazioni, come ad esempio con l’industria farmaceutica e i suoi interessi economici, che troppo spesso sono in conflitto con l’oggetto originale della produzione e distribuzione dei farmaci. Come partner, “Arte su Prescrizione Medica” sceglie preferibilmente farmacie che offrono anche prodotti medici alternativi. Ciò avviene, purtroppo, molto raramente su “prescrizione”. Ora a questo scopo agisce “Arte su Prescrizione Medica”, sui cui “effetti desiderati e indesiderati” non sono in grado di informare né il „foglio illustrativo, né il medico o il farmacista”.


 

CHRONOTOPIE

Philipp Wegan

Der Begriff Chronotopos entstammt der Literaturwissenschaft. Chronotopoi charakterisieren den Zusammenhang zwischen dem Ort und dem Verlauf einer Erzählung. Ein Ort (ein Zeit-Ort) generiert Handlung. Ort und Zeit bilden eine (erzählerische) Symbiose. Auf verschiedene Art finden sich in der Malerei von Elisabeth Schafzahl und Philipp Wegan zeitliche Elemente bezogen auf die Orte, die ihre Bilder thematisieren. Wie in der klassischen Malerei ist auch hier nicht nur das Bild selbst ein Ort, sondern auch ein Fenster zu einem Ort, einem Raum, den wir durch diesen rechtwinkeligen Rahmen sehen, als Fiktion, als perspektivische Illusion oder als ein Feld von Zeichen und Symbolen. (Das Tafelbild ist ein transferierbarer Ort, handelbar, im Gegensatz zur ortspezifischen Kunst, wo Kunstwerk und Ort eine Einheit bilden.) Es gibt keine Chronologie in der Malerei wie im Film, in der Literatur oder in der Musik, wo Dauer und Abfolge die Perzeption bestimmen. Die Zeitform der Malerei ist die Vergangenheitsform. Sein Geschehen drückt sich durch Farbspuren aus. Das Geschehen wird ablesbar. Man kann es bei der Entstehung mitverfolgen oder beobachten, dann ist es für immer vorbei, aufgetrocknet. Wir blenden es aus, dass  unser Auge schon seit einiger Zeit über die Bildfläche wandert, weil die Formen auf der Bildfläche nebeneinander, quasi gleichzeitig angeordnet sind, keine vorgeschriebene Chronologie bilden, und eine Art freie Montage den Zusammenhang herstellt.

Die Bildträger von Elisabeth Schafzahl sind Karten, die als Vogelperspektive konzipiert sind, und ursprünglich nichts von einer atmosphärischen Perspektive haben. Durch feine Farblasuren erzeugt Elisabeth Schafzahl aber Atmosphäre und setzt Figuren in die Fläche, die zwar proportional zu den Erdteilen übergroß erscheinen, aber das szenische und damit räumliche Element der Bilder hervorstreichen. Diese Orte, Landschaften und Topografien erfahren ein Geschehen, das diese selbst verändert: Faltungen erzeugen nicht nur atmosphärische Schatten, sondern auch neue Grenzverläufe. Räumlich konzipierte Vernähungen zu einem Gewand nehmen der Bildfläche endgültig ihren fensterartigen, perspektivischen Raum, indem sie zu einer Körperhülle werden und die Perspektive des Bildes als etwas nicht mehr ausserhalb des Betrachters stehendes begreifbar machen, sondern als Teil der Betrachtung, der Konzeption bzw. -im Sinne der Chronotopie – der Handlung selbst.

Philipp Wegan kombiniert in der Serie Das Schloß reale Schlösser Böhmens, gemalt nach sehr alten Fotografien, mit Passagen aus dem Roman Das Schloß von Franz Kafka. Diese Passagen sind so gewählt, dass es nicht handlungstragende Passagen sondern eher aphoristische Passagen sind und somit ein Bild im Bild, ein sprachliches in einem gemalten, bilden. In einigen Bildern steht das sprachliche Bild alleine auf der Malfläche. Der sprachliche Bildcharakter tritt damit hervor. Die Perspektive eines Bildraumes verschwindet bzw. ist nur noch durch den Bildträger Leinwand suggestiv vorhanden. In anderen Bildern verschwindet der kleine Text vor dem übergroßen Schloß. Durch das Schwarz-Weiss der Bilder und die ephemere Malerei erscheinen die Schlösser hinfällig und der Vergangenheit anzugehören. Die Malerei ist mit dem Herabrinnen der Farbe, das durch Auslöschen, Wegspritzen und Vermalen entsteht, konzipiert. Die dadurch entstehende Vertikalität der Formen ist den Zeilen der serifenbetonten Schrift gegenübergestellt. Die Serifen und die anderen typografischen Elemente, die handschriftlich die Typografie einer Schreibmaschine imitieren, entsprechen irgendwie dem Charakter der Protagonisten. Die Handlung in Kafkas Roman ist zäh, kaum wahrnehmbar stockt sie in einem fort. Entsprechend dieser Langsamkeit, und der langsamen Schrift im Bild steht die Größe der Hoffnung im Protagonisten K. und einigen anderen Personen des Romans. Sie blenden das Scheitern ihrer Anliegen dem Schloß und seinen Beamten gegenüber aus und schöpfen Hoffnung, obwohl fast nichts die Erfüllung dieser Hoffnung zu versprechen scheint. Diese Verhinderung zieht sich durch den ganzen Roman und findet keine Auflösung. Der Roman lässt sich  auch ohne seine Chronologie lesen, die Erwartungshaltung und der Spannungsbogen bilden sich im Kleinen wie im Ganzen: Eine grosse Metapher der Intransparenz, die sich auf die Gegenwart übertragen lässt. Eine paradoxe Situation, in der Hoffnung durch Verhinderung entsteht. Die Chronotopie des Romans: Das Schloß repräsentiert strukturelle Macht und verhindert die Handlungen der Antragsteller, und erzeugt dadurch umso grössere Hoffnungen und neue Handlungsstrategien seitens derselben. Philipp Wegan versucht mit seiner Bilderserie diese Chronotopie in Malerei zu übersetzen.

 

 

 

Kunst auf Rezept

Philipp Wegan

Konzept Rezept – Es könnte sich die Frage nach einem Original stellen, aber sie stellt sich nicht mehr notwendigerweise. Es könnte sich die Frage nach dem Medium stellen, aber sie stellt sich nicht mehr notwendigerweise. Es stellt sich auch nicht mehr die Frage nach dem Konzept. Ein Rezept ist eine Erlaubnis, eine Notwendigkeit, eine Anordnung und eine Möglichkeit. Im Rezept manifestiert sich das Weltbild des Menschen in seiner Wissenschaftlichkeit und in seinem Glauben daran.

Rezept Ausstellen – Das Ausstellen bekommt den Charakter des Ausfüllens. Das Rezept den Charakter der Medizin, der Zutat oder Essenz, die Veränderung bewirkt.

Verortung Apotheke – Die Apotheke ist zwar kein White Cube, aber sie ist von weißem Charakter. Selbst wenn das Mobiliar aus gediegenem Braun besteht, man denkt sich dazu ein weisses Inneres. Die Apotheken gibt es nicht überall, aber ihre Präsenz ist von geschütztem Verteilungscharakter. Apotheken werden als lebensnotwendig erachtet. Apotheken sind nicht nur im urbanen Raum, ländliches ist ihnen aber fremd, doch die Natur spielt in Apotheken eine tragende Rolle.

Rezept – Rezipierende –  Rezipierende (vielleicht als PatientInnen) halten ein Rezept in der Hand: Die übliche Distanz zwischen Werk und Rezipierenden scheint sich verflüchtigt zu haben, eine Vermittlung tritt an ihre Stelle. Auch der Preis ist ein anderer als der für Kunst üblicherweise bezahlt wird, er hat mehr Symbolcharakter (Rezeptgebühr €5,70) und erinnert an den höchsten Wert eines Allgemeingutes, das notwendigerweise allen zugute kommen soll. Kunst auf Rezept stellt die Rezipierenden in den Mittelpunkt, und zwar als solche, die Kunst brauchen, als sei sie Medizin.

Kunstwerk Rezept – Als Multiple bekommt das Rezept Werkcharakter. Die Auflage soll der Anzahl der teilnehmenden Kunstschaffenden entsprechen. Die Einnahmen des symbolischen Preises von €5,70 (Rezeptgebühr) für das Werk sollen zurückfließen in die Produktion von Kunst, in die Finanzierung einer generationen- und nationenübergreifenden Produktionsstätte, Bedingung der Möglichkeit für Kunst deren Produktionsbedingungen üblicherweise sehr prekär sind.

ongoing project – Kunst auf Rezept soll keine einmalige Veranstaltung sein, sondern sich etablieren als ein Format, das die Rezipierenden in Verbindung bringt mit den Rezept ausstellenden Kunstschaffenden, da eine Art Kreislauf geschaffen wird.

partizipatives Projekt – Das Partizipative bezieht sich demnach nicht nur auf die Kunstschaffenden, sondern auch auf die Rezipierenden.

 

 

 

Bild – Gegenbild

Sophie Geretsegger

Die KünstlerInnen, deren Werke sie hier heute präsentiert sehen, haben sehr gute Internet Auftritte, wo sie sich weiter über ihre großen Spektren informieren können. Es liegen hier auch weitere hervorragende Texte zu den hier ausgestellten Bildern auf. So möchte ich mich hier einerseits auf das Motto der Ausstellung konzentrieren und andererseits auf dieses Ausstellungsunterfangen überhaupt. Neben ihrer verschiedentlichen Ausstellungstätigkeiten riefen die drei KünstlerInnen Lisa Kunit, Elisabeth Schafzahl und Philipp Wegan das Unternehmen Precarium ins Leben. Einerseits durchaus, um auf die prekäre, langwierig schwierige Karriere der KünstlerInnen hin zu weisen, andererseits aber um ein schnelles, flexibles, spontan improvisiertes  Ausstellen, den Tempeln der teuren Kunst, die zwei Jahre Vorbereitungszeit brauchen, gegenüber zu stellen. Natürlich ist auch hier alles käuflich zu erwerben, aber noch zu sehr wohlfeilen Preisen.

Bild – Gegenbild ist eigentlich selbstverständlich, wenn wir Kunst betrachten. Sofort konstruieren und organisieren wir unser eigenes inneres Gegenbild, dass im Laufe einer Annäherung vielleicht zur Deckung mit dem Äußeren gelangt, was aber keineswegs zwingend ist, vielmehr entsteht zwischen Bild und Gegenbild ein Raum in dem sich die Erzählung, der mögliche Inhalt, ja sogar die technische Umsetzung potenzieren, und wir einen größeren Bedeutungsraum weiterdenken können.

Aber die hier gezeigten KünstlerInnen zeigen jeder/jede auf seine/ihre eigene Art auch tatsächliche Gegenbilder

Sei es, wie Philipp Wegan, der einem lächerlich scheinenden Ausschnitt von Realität ein beeindruckendes Gegenüber malt, in seiner Serie ‚mal so mal so’. Schon im Titel eröffnet sich Mehrdeutigkeit, Ambiguität. Oder wenn er flapsige Bildunterschriften aus Zeitungen mit feinen Zeichnungen konterkariert.

In seiner Serie: das Gold bleibt weiter verschwunden, wirkt, dass was wir sehen wollen oder sollen, wie aus einer schwarzen Ölkreidenschicht herausgekratzt, so wie es uns aus Kindertagen vertraut ist. Die, mit Schlagzeilentitel versehenen Sujets wachsen aus einem hellen Gittergeflecht heraus, das sie gleichermaßen gefangen hält. Diese Geflechte bilden einfache Muster, aber gleichzeitig auch Landschaften oder Requisiten, die den Hintergrund für die agierenden Figuren bilden. Wegan malt das nicht vorhandene nicht und doch sehen wir es. Alle Elemente des Bildes, obwohl geheimnisvoll führen durch Kombination/Komposition des Künstlers ein Stückchen näher zu einer Wahrheit.

Oder wie Elisabeth Schafzahl, sie arbeitet mit der zivilisatorischen Errungenschaft Landkarte. Schon seit dem Mittelalter haben sie dem Menschen erlaubt, sich ein Bild von der Welt zu machen, religiös, militärisch, politisch. Wir sehen also etwas, wo sich uns sofort wieder ein vertrauter Bedeutungsraum auftut. Aber wie ich aus Christian Reders ‚Gedanken zur Kartographie’ [1] in anderem Zusammenhang zitierte, werden auch hier „subtile Attacken gegen gewohnte Orientierung“ geführt. Besonders köstlich an dem dreidimensionalen Skulptur Gewand ausgeführt. Die Karte, ein Mittel der Eroberung der Welt, der weißen Welt, wird mit Farbfeldern, ich verwende absichtlich das Wort überschrieben und nicht übermalt und erzählt in der Gegenüberstellung, in dem Übereinanderlagerung und dem Titel eine neue Geschichte.

Lisa Kunit  hingegen eröffnet uns wieder eine andere Sicht. In ihren meisterlich routiniert gemalten Bildern stellt sie eine, im ersten Moment sonnige großzügige Welt der Realität gegenüber. Ironisch gebrochen zieht sie eine riesige Farbspur über das Papier, sitzt als Malerfürstin Platz behauptend uns gegenüber, lässt sogar junge Mädchen auf weißen Pferden reiten und isolierte Frauenfiguren an den Rand des Bildes laufen. Ihre abstrakte Arbeit aus Würfeln zusammen gesetzt, ermöglicht im wahrsten Sinn des Wortes Gegenbilder, die  wir hier als Betrachter selbst erzeugen können.

Was mir außerordentlich gut an dieser Ausstellung gefällt sind die komplett unterschiedlichen künstlerischen Wege, die die Drei gehen und sie hier zusammenfinden ließen, um Gegenbilder in unseren Köpfen zu zu lassen. Ich hoffe auch Sie finden hier Vergnügen und Geschichten und wünsche ihnen einen schönen Abend!

Image – counterimage

Sophie Geretsegger

In addition to their various exhibition activities, the three artists Lisa Kunit, Elisabeth Schafzahl and Philipp Wegan have also launched the Precarium initiative. On the one hand, with the aim of drawing attention to the artists’ precarious, protracted and difficult careers but, on the other, equally in order to contrast fast, flexible, spontaneously improvised exhibiting with the temples of expensive art requiring two years of preparation.

Image – counterimage really goes without saying when you consider art. Straight away we construct and organise our own inner counterimage which, in the course of convergence, may come to coincide with the outer, although this is by no means necessarily so; instead a space forms between the image and counterimage in which the narrative, the possible content, even technical implementation become augmented and we are able to spin out a larger space of meaning in our minds.

However, each of the artists exhibited here also presents actual counterimages in his or her own way.

For example like Philipp Wegan, who paints an impressive counterpart to a seemingly ridiculous detail of reality in his series entitled “mal so – mal so”, the title itself suggesting ambiguity. Or when he foils terse newspaper captions with subtle drawings.

In his series entitled “Das Gold bleibt weiter verschwunden” what we want to see, or what we are supposed to see, appears to be scratched out of a layer of black crayon, a technique familiar from our childhood days. The images adorned with newspaper headlines grow out of a bright grid mesh that, at the same time, seems to hold them captive. These meshes form simple patterns while also constituting landscapes or props, that form the backdrop for the figures engaged in various activities. Although Wegan does not paint what is not there, we still see it. All of the elements in the picture, while mysterious, bring us closer to a truth by dint of the way they are combined/composed by the artist.

Or like Elisabeth Schafzahl, who works with maps, an achievement of civilisation. Since medieval times, they have permitted us to make a picture of the world – be it religious, military or political. Thus we see something that immediately opens up a familiar space of meaning for us. But as I quoted from Christian Reder’s Kartografisches Denken[1] in another context, here again we see “subtle attacks waged on familiar orientation”. Executed in particularly exquisite style in the three-dimensional sculptural vestment. The map, a means of conquering the world, the white world, is overwritten – I use this term intentionally – and not overpainted with patches of colour, telling a new story in confrontation, in superimposition, and in the title.

Lisa Kunit, in turn, opens up yet another view. In her pictures painted with practised skill, she contrasts what appears at first sight to be a sunny generous world with reality. Ironically disrupted, she leaves a giant trail of colour across the paper, a “painter princess” seated opposite us, asserting her place, even has young girls ride on white horses, and isolated female figures run to the edge of the painting. Her abstract work composed of cubes enables counterimages in the true sense of the word, counterimages that we can generate ourselves as viewers.

What I really like about this exhibition are the completely different artistic paths embarked on by the three, paths which have brought them together here in order to enable counterimages in our minds.


[1] Reder, Christian (ed.): Kartographisches Denken, Vienna, New York 2012

 

Kunstverortung

Philipp Wegan

Kunstverortung ist keine eindeutige Angelegenheit. Kunst muss nicht als Kunstobjekt sichtbar und begreifbar sein. Kunst kann auch virtuell, medial, gedanklich stattfinden. Kunst kann ohne Verortung gedacht werden, aber in der Praxis des Kunstkonsums werden Orte aufgesucht, sei es in der Stadt, sei es im Netz, sei es irgendwo in einer Biografie oder in einem bestimmten Jahrzehnt. Sei’s drum – mit oder ohne Aura: am Ort ist uns was gelegen, denn Kunstverortung ist der Schatten der Kunstbetrachtung. Wo Kunst stattfindet, will Kunst konsumiert werden, wenn nicht der Ort selbst Teil der Kunst ist.

Das Prekäre der Kunst wird meist übersehen. (Es wird geflissentlich darüber hinweggesehen.) Wird das Prekäre hervorgekehrt, ist manchmal die Angst um die Kunst schon Teil der Betrachtung, manchmal nimmt sie die Scheu und Abstand ist kein Thema mehr. Es kann vorkommen, dass sich Kunst an Orten befindet, die selbst prekär sind, und die Angst um die Kunst der Angst um das eigene Wohl Platz macht.

Prekarium als juridischer Terminus bezeichnet ein vertragliches Verhältnis, aus dem sich keinerlei Rechte ableiten lassen. Das Prekarium, auch Bittleihe oder Gebrauchsüberlassung, stellt eine Sonderform der Leihe dar. Der Verleiher kann dabei, im Unterschied zur normalen Leihe, die Sache jederzeit nach Willkür zurückfordern. Es handelt sich also um eine widerrufbare Einräumung eines Rechts, aus der sich kein Rechtsanspruch ableitet. Im römischen Recht war das Prekarium ebenfalls die unentgeltliche Überlassung einer Sache oder eines Rechts auf Widerruf. Im Gegensatz zum heutigen österreichischen / liechtensteinischen Recht handelte es sich jedoch nicht um einen Vertrag. Vielmehr handelte es sich um ein soziales Verhältnis, in dem ein Reicher einem Armen unentgeltlich Begünstigungen gewährte. Im Laufe der Entwicklung des römischen Rechts näherte sich die Handhabung jedoch immer mehr der des Vertrages an, insbesondere was die Haftung des Empfängers (des Prekaristen) betraf. Die Vertragspartner wähnen sich also beide im Vorteil oder zumindest in einer für sie jeweils günstigen Situation. Sie haben wohl nichts zu verlieren.

precarium kunstverortung ist eine off space initiative, die diese Bezeichnung gewissermaßen wörtlich nimmt, da sie sich nicht auf einen bestimmten Ort festlegen will, sondern wachsen kann vielerorts und sollte sie einmal ohne Ort auskommen müssen, existiert sie noch immer im Netz unter precarium.at. Es entsteht eine Sammlung von Orten, die aber zugänglich sein sollen, und an denen es sich artists als auch Leihgeber zum Vorteil gereichen Kunst beherbergen und zeigen zu können.